Sales agents und Kundenbetreuer als Dienstnehmer nach ASVG? (Bundesverwaltungsgericht 27. 3. 2023)

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Immer wieder kommt es im Vertrieb zu Schwierigkeiten bei der Einordnung nach den Sozialversicherungsgesetzen. Neuere Entscheidungen sorgen für Klarheit…

Im ersten Fall, über den wir berichten wollen, hat ein sales agent einen Vertrag über die Vermittlung von Wärmepumpen abgeschlossen. Nach dem umfassenden Vertrag musste er zumindest zweimal im Monat an einer Vertreterbesprechung am Sitz des Unternehmens teilnehmen, er unterlag einem Konkurrenzverbot, musste seine Vermittlungstätigkeit höchstpersönlich auszuüben und durfte keine Subagenten heranziehen. Ein Fixhonorar war nicht vereinbart. Es stellte sich die Frage, ob er als echter oder freier Dienstnehmer als ASVG zu qualifizieren war.

Der sales agent hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben, dass er sich von einer externen Person gar nicht vertreten lassen könnte, sodass die Vertretung innerhalb der Kollegen erfolgte. Grund dafür war die hohe Spezialisierung auf die Produkte des Unternehmens. Er hat ein eigenes Büro zu Hause gehabt und die Betriebsmittel nämlich für Kfz, EDV und Handy hat er steuerlich abgesetzt. Eine Konkurrenzklausel hätte so nicht bestanden, es hätte „mit Handschlagsqualität“ zu tun gehabt. Von Beginn an hätte er keine Weisungen bekommen und auch Arbeitszeit und -ort waren frei. Der schriftliche Vertrag sei von Anfang an „nicht so gelebt worden, es wurde mündlich vereinbart, wie es in Wirklichkeit gemacht“ werde.

Das BVerwG hat betont (Entscheidung vom 28. 1. 2021), dass auf die wahren Verhältnisse abzustellen sei. Nach dem Vertrag war die Vermittlungstätigkeit höchstpersönlich auszuüben. Im Verfahren ist aber hervorgekommen, dass diese Vereinbarung in der Realität so nicht gelebt wurde, da die Handelsvertreter sich untereinander vertraten, ohne den Unternehmer davon in Kenntnis zu setzen. Die Möglichkeit der Vertretung sei also nur auf die anderen Handelsvertreter eingeschränkt gewesen.

Der sales agent konnte einzelne Aufträge sanktionslos ablehnen. Vorgaben sonstiger Art bestanden nicht. Eine bloße Koordination mit mit den Erfordernissen des Unternehmens bedeutet noch keine Weisungsgebundenheit. Er hat keinen fixen Arbeitsplatz gehabt. Das Konkurrenzverbot hatte sich nur auf spezielle Produkte bezogen und wurde im Arbeitsalltag nicht so gelebt worden, wie im Vertrag vereinbart. Der sales agent hatte auch einen eigenen Betrieb und konnte für diesen tätig werden. Er hat kein Risiko eines Zahlungsausfalls getragen und die wesentlichen Betriebsmittel selbst zur Verfügung gestellt. Eine Qualifikation als echter Dienstnehmer wurde daher verneint.

Diese Entscheidung ist insofern bemerkenswert, als hier besonders auf die gelebte Praxis abgestellt wird. Dies wurde in der Vergangenheit auch schon anders gesehen, da dort der schriftliche Vertrag, auf den der Unternehmer zurückkommen hätte können, in den Vordergrund gerückt wurde. Auch die Vertretungsbefugnis bzw. auch das in der Praxis nicht gelebte Konkurrenzverbot wurden hier großzügig zugunsten der Selbstständigkeit des sales agents interpretiert.

Auch eine weitere Entscheidung des BVerwG, nämlich vom 27. 3. 2023, hat die echte Dienstnehmereigenschaft nach Sozialversicherungsrecht einschränkend interpretiert. Im vorliegenden Fall ging es um einen Kundenbetreuer für Computersysteme. Dieser war auf selbständiger Basis tätig, wofür er einen Gewerbeschein gelöst hat. Dieselbe Tätigkeit hatte er zuvor als Angestellter durchgeführt. Er hat Schulungen besucht, keine fixen Bürozeiten gehabt, er war aber meistens spätestens um 8 Uhr früh im Büro. Die Kundentermine wurden ihm vorgegeben, wobei er Aufträge nie abgelehnt hat. Er hätte auch sonst den vereinbarten Tagessatz verloren. Die Tätigkeit musste er dokumentieren und hat regelmäßig an Projektmeetings teilgenommen. Ein Wettbewerbsverbot war nicht vereinbart ebenso wenig eine persönliche Arbeitspflicht. Diese war aber von vornherein klar. Er hat sein eigenes Kfz verwendet. Er verfügte über den Büroschlüssel und erhielt vom Unternehmen ein Firmen- Notebook, Handy und Visitenkarten.

Das BVerwG hat zunächst betont, dass eine persönliche Arbeitspflicht bestand. Er hat sich auch niemals vertreten lassen. Er war aber an keine fixen Arbeitszeiten gebunden, seine Arbeitszeitaufzeichnungen wurden nicht kontrolliert. Auch örtlich war er ungebunden, soweit die Tätigkeit nicht vor Ort beim Kunden zu erfolgen hatte. Die bloße Anwesenheit bei Besprechungen stellt noch keine Einbindung in die Betriebsorganisation dar. Er verfügte über den eigenen Büroschlüssel und war somit nicht an betriebliche Öffnungszeiten gebunden. Es bestanden keine Weisungen betreffend das arbeitsbezogene Verhalten, Arbeitszeit oder Arbeitsort.

Im vorliegenden Fall wäre aufgrund der persönlichen Arbeitspflicht an sich ein freies Dienstverhältnis vorgelegen. Dieses war aber aufgrund des gelösten Gewerbescheines zu verneinen. Die Pflichtversicherung nach ASVG als freier Dienstnehmer besteht ja nur subsidiär. Im Ergebnis bestand also keine Pflichtversicherung nach dem ASVG.

Beide Entscheidungen zeigen, dass die Tendenz der Rechtsprechung dahin geht, wieder verstärkt die Punkte aufzugreifen, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen. Bei manchen Entscheidungen in der Vergangenheit hatte man den gegenteiligen Eindruck. Insofern sind diese jüngst ergangenen Entscheidungen eine wichtige Hilfestellung, falls es zur Einordnung des sales agents Schwierigkeiten geben sollte. Klare Hinweise auf eine dienstnehmer(ähnliche) Tätigkeit wie Fixum, Weisungen, betriebliche Anwesenheitszeiten, Zurverfügungstellung von Betriebsmitteln, Kontrolle jedweder Art, Verpflichtung zur persönlichen Dienstleistungen etc. sind freilich zu vermeiden.

Ihr Ansprechpartner: RA Dr. Gustav Breiter

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

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