Der Handelsagent als Dienstnehmer nach ASVG? (Bundesverwaltungsgericht 4. 4. 2024)

· | Vertriebsrecht

Im Rahmen von GPLA-Prüfungen durch Sozialversicherungsanstalt bzw. Finanzamt meint die Behörde immer wieder, den selbstständigen Handelsagenten als Dienstnehmer qualifizieren zu müssen. Bisweilen ist das nicht richtig, wenn bestimmte Parameter gegeben sind… 

 

Im vorliegenden Fall wurden Schlafsysteme im Direktvertrieb angeboten. Die Entscheidung ist aber auf den „klassischen“ Sales Agent umzulegen. Die Behörde hatte darauf abgestellt, dass den Vertriebspartnern laut dem Handelsvertretervertrag keine Vertretung durch Dritte möglich war. Tatsächlich kam es auch zu keiner solchen Vertretung. Sie hätten keine eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten gehabt, auch in das betriebliche Formularwesen seien sie eingegliedert gewesen. Die Termine bei den potentiellen Kunden seien vorgegeben gewesen. Der (mögliche) Kundenstock sei ihnen als wesentliches Betriebsmittel überlassen worden. Dass kein Fixum, sondern umsatzabhängige Provisionen bezahlt wurden, würde das sog. Unternehmerwagnis nicht begründen, weil auch angestellte Vertreter auf Provisionsbasis arbeiten würden. Es handle sich also aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht um Dienstnehmer.

 

Diese Beurteilung liest sich an sich so, als wären die üblichen Kriterien angelegt worden und dies daher rechtlich durchaus vertretbar wäre. Bei näherem Hinsehen war aber das Gegenteil der Fall. Das Bundesverwaltungsgericht hat folgende Aspekte betont:

 

Es gab keine verpflichtenden Schulungen. Man musste die vermittelten Verkaufsmethoden auch nicht anwenden, wenn man nicht wollte. Auch die Teilnahme an Meetings war freiwillig. Die Vertriebspartner akquirierten auch selbst Termine für Präsentationen. Eine Verpflichtung, Termine vom Unternehmen anzufordern, bestand nicht. Die sales agents gaben vielmehr bekannt, wie viele Termine sie pro Tag bzw. zu welchen Zeiten haben wollten (Anmerkung: auch hier hat sich die Arbeitswelt offenbar deutlich geändert). Angenommene Termine konnten sie direkt mit den Kunden verschieben. Einzige Sanktion bei mangelnder Wahrnehmung eines angenommenen Termins war, dass das Unternehmen diesen dem Vertriebspartner in Rechnung stellte. Sonst gab es keine Konsequenzen. Die Vertriebspartner durften sich vertreten lassen, nahmen dies aber nicht wahr. Prospekte, Visitenkarten und Werbegeschenke wurden ihnen zur Verfügung gestellt. Es wurde kein Mindestumsatz vorgegeben bzw. vereinbart. Es wurden zwar Berichte über erzielte Verkäufe erstattet („Tagesbericht“); dieser kann aber nicht als Kontrollrecht angesehen werden.

 

Aufgrund dieser Umstände entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass keine sog. echte Dienstnehmereigenschaft vorlag. Auch in einem ähnlich gelagerten Fall vom 8. 11. 2023 wurde so entschieden. Beide Entscheidungen zeigen weiterhin die Tendenz, weniger strenge und damit realistischere Maßstäbe anzulegen. Das schien bei Entscheidungen in der Vergangenheit nicht immer der Fall.

 

Ihr Ansprechpartner: RA Dr. Gustav Breiter

 

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