Verliert ein Handelsagent sein „Ansparguthaben“ durch Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs? (LG Essen 3. 2. 2021)

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Bisweilen sehen (deutsche) Handelsagentenverträge Nachteile vor, wenn der Handelsagent seinen Ausgleichsanspruch geltend macht. Eines dieser „Modelle“ ist ein „Ansparkonto“, auf das der Geschäftsherr einzahlt – bei Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs jedoch soll das Guthaben verloren gehen. Es stellt sich die Frage, wie weit dies zulässig ist…

 

Ein Handelsagent war für ein Unternehmen aus der Werbebranche tätig. Neben der im Vertrag vereinbarten Grundprovision von 9 % sollte er für jeden neu geworbenen Kunden eine Zusatzprovision erhalten sowie ein Ansparguthaben in der Höhe von 1% des Umsatzes.

 

Nach der vertraglichen Definition lag ein Neukunde dann vor, wenn dieser innerhalb der Produktgruppe im Vorjahr keinen Auftrag getätigt hatte.

 

Zudem war, wie einleitend erwähnt, die Regelung enthalten, dass der Handelsagent  mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs auf einen etwaigen Anspruch auf das Ansparguthaben samt Zinsen verzichtet.

 

Der Geschäftsherr hatte das Vertragsverhältnis durch ordentliche Kündigung beendet. Danach verlangte der Handelsagent zunächst die Auszahlung seines Ansparguthabens, woraufhin der Geschäftsherr einen Betrag von rund € 30.000 bezahlte.

 

Einige Monate später verlangte der Handelsagent dann eine Ausgleichszahlung von rund € 74.000 – und klagte.

 

Der beklagte Geschäftsherr war der Ansicht, dass der Ausgleich nicht über € 30.000 betragen würde und erklärte die Aufrechnung mit seinem Anspruch auf Rückzahlung des bezahlten Ansparguthabens. Mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs würde ja das Ansparguthaben nicht mehr zustehen und sei daher gegenzurechnen.

 

Diese Entscheidung erging zwar zum deutschen Recht; aufgrund der insofern vergleichbaren Rechtslage sind die Erwägungen aber auf das österreichische Recht übertragbar. Zudem haben bekanntlich viele Handelsagenten Verträge mit deutschen Geschäftsherren und darin ist oftmals deutsches Recht vereinbart. Auch aus diesem Grund ist die Entscheidung interessant.

 

Das Landgericht Essen hat zunächst betont, dass die vertragliche Neukundendefinition weiter ist als das übliche Begriffsverständnis zum Ausgleichsanspruch. Diesbezüglich gilt nach den allgemeinen Grundsätzen zum Handelsvertreterrecht: ein neuer Kunde liegt dann vor, wenn er vor der Tätigkeit des Handelsagenten noch nicht gekauft hatte. Die vertragliche Definition im vorliegenden Fall stellte aber auf die Produktgruppe ab und (nur) darauf, dass im Vorjahr kein Auftrag abgeschlossen worden war. Das Verständnis war also weiter.

 

Dies half aber dem Handelsagenten nichts, was den Ausgleichsanspruch anlangt. Denn das Landgericht Essen hat betont, dass der Vertrag deutlich zwischen den Vorschriften zu Provision und Ausgleichsanspruch differenzieren würde. Die Definition sollte also nur für die provisionsrechtlichen Aspekte gelten, nicht aber für den Ausgleichsanspruch.

 

Dazu kam im vorliegenden Fall, dass der klagende Handelsagent die von ihm behaupteten Umsatzausweitungen bei Altkunden nicht beweisen konnte. Zunächst war der Kläger in seiner Ansicht etwas zu großzügig, dass eine zeitweise Beendigung des Bezugs schon bedeuten würde, dass es sich um einen reaktivierten Altkunden handelt. Das Landgericht Essen hingegen hat darauf abgestellt, dass die Geschäftsbeziehung für einen Zeitraum von mehreren Jahren zum Erliegen gekommen sei. Bei der wesentlichen Erweiterung als solcher hat das Landgericht Essen nicht, wie es üblich ist, auf eine pauschale Umsatzerweiterung (i.d.R. 50-100 %) abgestellt. Stattdessen hat es ermittelt, welchen Umsatz ein neuer Kunde durchschnittlich getätigt hat. Das waren im vorliegenden Fall € 1.000. Eine solche Steigerung wurde aber nur bei wenigen Altkunden erreicht.

 

Zudem hatte der klagende Handelsagent insgesamt 32 Kunden doppelt eingerechnet, obwohl diese bereits den Kundenbedarf für das Folgejahr abgedeckt hatten. Die Kunden hatten neben dem laufenden Auftrag auch schon Aufträge für das Folgejahr abgegeben. Vor diesem Hintergrund konnten nicht beide Aufträge eingerechnet werden.

 

Dazu kam, dass der sogenannte Prognosezeitraum zur Hochrechnung der zukünftigen Provisionsverluste nicht wie vom Kläger veranschlagt mit fünf Jahren angenommen wurde, sondern nur mit drei Jahren. Dies ist zwar unterdurchschnittlich (üblich sind im Schnitt vier Jahre), dessen ungeachtet kann man gegen eine solche richterliche Bewertung de facto nichts einwenden (man spricht von richterlichem Ermessen).

 

Das Gericht kam also zum Ergebnis, dass der Ausgleichsanspruch nicht, wie vom Kläger eingeklagt, € 74.000 ausmachte, sondern lediglich € 12.000. Das Ansparguthaben sei in die Ausgleichsberechnung nicht einzurechnen ebenso wenig die Zusatzprovision für (im Sinne der Provisionsregelungen) neue Kunden. Mit anderen Worten: der Handelsagent bzw. sein Vertreter hatten hier deutlich zu „sportlich“ gerechnet.

 

Das Gericht hat den Verfall des Ansparguthabens durch die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs als wirksam anerkannt. Der Kläger hätte damit auf die Auszahlung des Ansparguthabens verzichtet. Nur der Ausgleichsanspruch als solcher darf nicht eingeschränkt werden, mittelbare Folgen auf anderweitige Ansprüche wie eben hier auf ein Ansparguthaben sind zulässig.

 

Im Ergebnis hatte der klagende Handelsagent viel zu viel geltend gemacht; der Ausgleichsanspruch blieb hinter dem Ansparguthaben zurück. Und durch die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs von im Ergebnis € 12.000 hat er wirksam auf sein Ansparguthaben von Euro € 30.000 verzichtet. Im Nachhinein betrachtet wäre es daher in diesem speziellen Fall besser gewesen, beim Ansparguthaben zu bleiben und den Ausgleichsanspruch nicht mehr geltend zu machen. Der Kläger hatte aber auch keine glücklichen Umstände für sich, weil die Berechnung doch eher restriktiv ausgefallen ist.

 

Generell sollte sich der Handelsagent bei Vertragsabschluss sämtlicher „Modelle“ verwehren, die sich nachteilig auf den Ausgleichsanspruch (oder umgekehrt der Ausgleichsanspruch nachteilig auf solche Modelle) auswirken können. Tendenziell sehen Geschäftsherren solche Modelle nicht deshalb vor, um dem Handelsagenten zusätzlich etwas bezahlen zu dürfen.

 

Es ist jeder Handelsagentur zu raten, statt eines solchen Ansparmodells auf eine höhere Provision zu drängen und, wenn schon nicht im gesamten Ausmaß, z.B. den halben Prozentsatz, der ansonsten auf das Ansparkonto eingezahlt worden wäre, als zusätzliche Provision zu vereinbaren.

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

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