Fristlose Kündigung eines Handelsagenten wegen Steuerhinterziehung und ungeordneter Verhältnisse – zulässig? (OLG Köln 1. 3. 2021)

No Tags | Allgemein

Für eine fristlose Vertragsbeendigung führen Geschäftsherrn bisweilen alle möglichen und unmöglichen Gründe an – hier war es eine Verurteilung des Vermittlers wegen Steuerhinterziehung und „ungeordneter wirtschaftlicher Verhältnisse“. Fraglich war insb., ob es dadurch zu einem Verlust des Ausgleichsanspruchs kommt…

 

Im vorliegenden Fall hatte der Geschäftsherr den Vermittlungsvertrag mit Schreiben vom 25. 3. 2017 mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Die ordentliche Kündigungsfrist wäre der 31. 12. 2017 gewesen. Was war passiert?

 

Der Vermittler war in Insolvenz gegangen (Jahre zuvor war er wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden). Der Insolvenzverwalter hat in einem Bericht von 23. 7. 2018 an das Insolvenzgericht festgehalten, dass der Vermittler in den letzten Jahren in gänzlich ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt und den Überblick verloren hatte. Er war seinen steuerlichen Erklärungspflichten seit Jahren nicht mehr nachgekommen und es sei völlig unverständlich, wie er überhaupt als Vermittler für diverse Versicherungen tätig sein konnte.

 

Es hatte sich also um einen Versicherungsagenten gehandelt. Die Entscheidung kann aber auf Handelsagenten übertragen werden (auch in den rechtlichen Ausführungen der Gerichte ist immer wieder von Handelsvertreterrecht die Rede).

 

Auch dass es sich um eine deutsche Entscheidung handelt, ändert nichts an der Bedeutung für das österreichische Recht, da die tragenden Grundsätze dieselben sind.

 

Das in erster Instanz angerufene Landgericht Köln hat die fristlose Kündigung als wirksam angesehen. Ein Schadenersatz für die mangelnde Einhaltung der Kündigungsfrist bis zum Jahresende stand also nicht zu. Ein Ausgleichsanspruch wurde aber zuerkannt. Worin liegt der maßgebende Unterschied?

 

Das Landgericht ist auf die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung aus dem Jahr 2014 nicht gesondert eingegangen. Es wurde auch festgehalten, dass das Vertreterverhältnis 14 Jahre Bestand hatte und offensichtlich keine Beanstandungen zu beklagen waren. Für das Gericht war aber die Aussage des Insolvenzverwalters maßgebend, dass der Agent seit Jahren in vollkommen ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse gelebt und jeden Überblick verloren hatte. Dass dies erst im Nachhinein, nämlich im Insolvenzverfahren und rund eineinhalb Jahre nach dem Ausspruch der fristlosen Kündigung bekannt wurde, schadet insofern nicht. Denn diese Umstände müssen im Kündigungszeitpunkt nur vorliegen, sie müssen aber dem Geschäftsherrn nicht auch bekannt sein. Sie können also „nachgeschoben“ werden.

 

Dies gilt aber beim Ausgleichsanspruch gerade nicht. Hier erfordert es der Gesetzeswortlaut, dass der Handelsagentenvertrag wegen eines wichtigen, vom Handelsagenten verschuldeten Grund gekündigt wurde. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH und auch der deutsche BGH hat so geurteilt. Insofern macht es einen Unterschied, dass die ungeordnete Vermögenssituation des Handelsagenten erst im Nachhinein aufgrund des Berichts des Insolvenzverwalters bekannt wurde. Hier ist ein Nachschieben nicht möglich. Und die (bekannt gewesene) Verurteilung wegen Steuerhinterziehung stellt keinen wichtigen Grund da. Diese Straftat richtete sich nicht gegen das beklagte Versicherungsunternehmen und stand auch nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausübung der Versicherungsvertretertätigkeit. Der Verurteilungszeitraum hat das Jahr 2014 betroffen und lag daher schon länger zurück.

 

Der Ausgleichsanspruch wurde allerdings nicht im vollen Betrag zugestanden, sondern es wurde ein sogenannter Billigkeitsabschlag in der Höhe von 25% vorgenommen (im konkreten Fall verblieb aber immer noch ein Ausgleichsanspruch in der Höhe von rund € 117.000). Im Rahmen der Billigkeit können auch Umstände berücksichtigt werden, die zwar die fristlose Kündigung rechtfertigen, aber nicht zum Ausschluss des Ausgleichsanspruchs führen.

 

Die Entscheidung wurde vom Instanzgericht, dem OLG Köln bestätigt.

 

Die Entscheidung zeigt sehr anschaulich, dass es bei der Beurteilung verschiedener Ansprüche aufgrund einer fristlosen Beendigung durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Insbesondere ist es, wie hier, möglich, dass einem Vertriebspartner ein Ausgleichsanspruch zusteht, weil die fristlose Beendigung als solche berechtigt und wirksam war. Dieser Unterschied kann sich wie gezeigt durch das „Nachschieben“ von Kündigungsgründen ergeben, was eben beim Ausgleichsanspruch nicht möglich ist. Es kann aber auch sein, dass die fristlose Kündigung objektiv gerechtfertigt ist, ohne dass den Handelsagenten ein Verschulden trifft (ein Verschulden ist für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs erforderlich). Es sind also mehrere Fallgestaltungen denkbar, in denen der Ausgleichsanspruch zusteht, obwohl eine fristlose Beendigung gerechtfertigt war.

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html