Höherer Ausgleichsanspruch nach deutschem Recht? Teil 2 (BGH 24. 9. 2020 – VII ZR 69/19)

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An dieser Stelle wurde im Jänner berichtet: ein deutsches Oberlandesgericht hat dem Vertriebspartner den Weg zu einem höheren Ausgleichsanspruch als bisher eröffnet. Der BGH hat dies nun präzisiert…

 

Der Europäische Gerichtshof hat in einer Entscheidung aus 2009 (Semen vs. Deutsche Tamoil) betont, dass für den Ausgleichsanspruch eines Handelsagenten nicht allein seine Provisionsverluste maßgebend seien. Der Ausgleich muss insgesamt „billig“ – also gerecht – sein. Dabei kommt es auch auf die weiterwirkenden Vorteile des Unternehmens aus dem vom Handelsagenten aufgebauten Kundenstock an.

 

Aufgrund dieser Entscheidung kam es zu einer Änderung des deutschen Rechts. Der Paragraph, der den Ausgleichsanspruch regelt (§ 89b HGB), entspricht nun unserem § 24 HVertrG. Es ist also explizit vorgesehen, dass die Provisionsverluste „nur“ im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigen sind; die weiteren Vorteile des Lieferanten aus dem Kundenstock waren schon bisher ein weiteres Kriterium.

 

Dies hat in der deutschem Vertriebsrechtsszene zu einem regelrechten „Hype“ geführt. Führende Autoren haben vertreten, dass nunmehr in erster Linie die weiterwirkenden Vorteile maßgebend seien. Diese könnten zu einem höheren Ausgleich als bisher führen. Zur Darlegung dieser Vorteile stünde dem Vertriebspartner ein Auskunftsanspruch gegen den Lieferanten zu.

 

Die Gerichte aber betonten, dass die alte Berechnung anhand der Provisionsverluste weiterhin möglich ist. Zum anderen ist es für den Handelsagenten schwierig, von außen die weiteren Vorteile des Geschäftsherrn zu beweisen. Und wie sollte man diese bemessen?

 

Gestützt auf diese neue Ansicht, hat ein deutscher Vertriebspartner seinen Ausgleich unter Berufung auf die weiterwirkenden Vorteile eingeklagt. Berechnen wollte er diese anhand des Rohertrags (DB I) des Lieferanten und hat ihn auf Auskunft darüber verklagt. Das OLG Frankfurt hat dem stattgegeben. Es trug also dem Hersteller auf, den DB I offenzulegen.

 

Diese Entscheidung hat der BGH nun aufgehoben: der Rohertrag ist nicht maßgebend. Der Handelsagent ist ja nicht für die Herstellung und die Qualität der vertriebenen Produkte verantwortlich. Es kommt daher nicht auf die Gewinnmarge an, sondern auf die Bewertung des von ihm geschaffenen Kundenstamms.

 

Anmerkung:

 

Letzteres ist der springende Punkt: möchte der Agent zu einem höheren Ausgleich (als über seine Provisionsverluste berechnet) kommen, kann er nur argumentieren, dass der Wert des Kundenstamms höher sei. Um diesen zu berechnen, könnte etwa auf einen „adäquaten Lizenzwert“ abgestellt werden. Damit würde man aber wieder bei einer Art Provision landen, die der Geschäftsherr für den Aufbau eines entsprechenden Kundenstocks bezahlen müsste.

 

In diesem Zusammenhang sind nicht „kreative“ Ansätze gefragt. Es geht vielmehr um eine nachvollziehbare und belastbare Bewertung eines Kundenstamms nach betriebswirtschaftlichen Regeln bzw. Verfahren (IDW-Standards). Das Abstellen auf den Rohertrag hingegen war – wie man spätestens jetzt weiß – nicht der richtige Ansatz.

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

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