Handelsagent ist tatsächlich Dienstnehmer (Bundesverwaltungsgericht 23. 7. 2020)
An dieser Stelle wurde über die Problematik bereits berichtet: bei Vorliegen bestimmter Kriterien wird ein Handelsagent bei einer Steuer- und Beitragsprüfung als Dienstnehmer angesehen. Das BVwG hatte über einen solchen Fall zu entscheiden…
Ein Handelsagent war über 30 Jahre für ein Unternehmen im Verkauf von Maschinen und Werkzeugen mit dem Schwerpunkt Holzverarbeitung tätig. Die zuständige Sozialversicherungsanstalt stellte fest, dass ihm der Geschäftsführer Arbeitsräume zur Verfügung gestellt hatte, der Agent konnte daher vor Ort Kundengespräche führen und auch die Schauräume benützen. Er hatte einen eigenen Schlüssel und durfte auch außerhalb der Betriebszeiten das Gelände betreten. Er hat ein monatliches Fixum erhalten. Falls er einen Kundentermin nicht wahrnehmen hätte können, wäre die Vertretung aus dem Pool der Verkaufsmitarbeiter des Geschäftsherrn erfolgt. Seit Jahren wurde ihm ein Firmen-Kfz zur Verfügung gestellt. Das Weisungsrecht des Geschäftsherrn zeige sich in der Zuweisung eines festen Verkaufsgebiets (im vorliegenden Fall Salzburg und Kärnten). Insgesamt sei er daher als echter Dienstnehmer im Sinne des Sozialversicherungsrechts anzusehen.
Das betroffene Unternehmen brachte dagegen Beschwerde ein. So sei die Annahme eines Fixums aktenwidrig, tatsächlich hätte es sich um eine Akontierung gehandelt. Der Handelsagent sei keinem Weisungsrecht unterlegen, er hätte keine Berichtspflicht gehabt. Weder seien fixe Arbeitszeiten noch ein Konkurrenzverbot vereinbart gewesen. Seine Urlaubsplanung hätte er vollkommen frei gestaltet. Frühere Finanzamtsprüfungen hätten bei gleichem Sachverhalt nicht ergeben, dass er tatsächlich Dienstnehmer sei. Zudem sei eine Provisionsminderung von 5 % auf 4 % erfolgt, dies entspräche dem Aufwand für das Fahrzeug. Er würde keinen eigenen Arbeitsplatz benützen, es handele sich vielmehr um den allgemeinen Besprechungsraum.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zunächst betont, dass der Agent diesen Besprechungsraum für Kundengespräche benützen konnte. Im Verhinderungsfall wäre er von weiteren Verkaufsmitarbeitern des betreffenden Unternehmens vertreten worden. Das Provisionsakonto sei gezielt so kalkuliert worden, dass es nicht zur Rückzahlung von Provisionen kommen sollte. Dementsprechend hatte er stets Nachzahlungen erhalten. Er verfügte zu Hause über ein Büro und einen eigenen Laptop, verwendete allerdings ein Computerprogramm des Geschäftsherrn. Der Firmen-Pkw wurde zur Verfügung gestellt, für Reparaturkosten und Schäden hatte er aber selbst aufzukommen. Er hatte keine anderen Auftraggeber und ging auch nie einer Konkurrenztätigkeit nach.
Der Leser merkt an dieser Stelle, dass sich der Sachverhalt von den Behauptungen her nur in Details unterschied. Die Darstellung der Sozialversicherungsanstalt liest sich aber von der Wertung her gänzlich anders als die „Verteidigung“ des belangten Unternehmens. Die maßgebenden Kriterien, nämlich die Benützung von Firmenräumlichkeiten und Firmen-Kfz, eine Art Fixum (dazu später), ein Computerprogramm, das zur Verfügung gestellt wird, eine ausschließliche Tätigkeit für das betreffende Unternehmen, auch eine gewisse Kontrollmöglichkeit durch das verwendete Computerprogramm etc. kennen wir jedoch durchaus aus dem Bereich des Arbeitsrechts. Gerade dies begründet das Problem, weil bei diesen Kriterien angesetzt wird.
Im Sozialversicherungsrecht wird nicht nur der Vertragsinhalt, so wie er niedergeschrieben ist, gewürdigt, sondern auch in ganz besonderer Weise die gelebte Praxis. So hat das Bundesverwaltungsgericht etwa betont, dass es nicht darauf ankommt, dass mit dem Handelsagenten vereinbart worden sei, er müsse die Tätigkeit nicht persönlich ausüben. Maßgebend ist vielmehr, dass eine Vertretung in seiner über 30-jährigen Tätigkeit unstrittig nie vorgekommen ist, sodass eine solche Vereinbarung ohnedies keine praktische Bedeutung erlangt hätte.
Gleiches betreffend das Konkurrenzverbot: auch wenn ein solches formal nicht vereinbart wurde, war er tatsächlich keinerlei Konkurrenztätigkeit nachgegangen und war sehr eng in das Firmengeschehen eingebunden (etwa durch die Nutzungsmöglichkeit der Betriebsräumlichkeiten, die Übergabe eines Schlüssels, die Darstellung auf der Homepage als „unser Urgestein für alle Fälle“). Das Bundesverwaltungsgericht zu diesem Punkt wortwörtlich: „es kann in der gegenständlichen Konstellation daher nicht darauf geschlossen werden, dass beabsichtigt gewesen wäre, damit die Möglichkeit einer Konkurrenztätigkeit zu eröffnen“.
Ähnlich dynamisch wird die Frage des Fixums interpretiert: die offenkundige Intention des Geschäftsherrn war es, monatlich ein konstantes Entgelt zu leisten, und zwar gezielt in einer Höhe, dass es nie zur Rückzahlung, sondern immer nur zu einer Nachzahlung kam. In diesem Zusammenhang ist das Gericht auch auf den Einwand eingegangen, dass die Provision doch von 5 % auf 4 % reduziert worden sei, dies als Abzug für das Firmen- Kfz. Das Gericht sagt dazu, dass Belege für den tatsächlich erfolgten Provisionsabzug nicht vorgelegt wurden. Zudem würden die Umsatzangaben mit einer Provision von 4 oder 5 % gar nicht übereinstimmen, da sich aus den vorgelegten Unterlagen ein Mischprovisionssatz von 7,37 bzw. 7,9 % ergeben würde. Es sei nicht relevant, dass in den Unterlagen von Akontozahlung die Rede war und tatsächlich im Zuge der Jahresabrechnung eine Provisions(nach)verrechnung stattfand. Aus der Vorgangsweise, gezielt ein konstantes Einkommen zu ermöglichen, das nie unterschritten wurde, wurde in wirtschaftlicher Betrachtung ein Fixum abgeleitet. Das Bundesverwaltungsgericht löst die Situation dergestalt auf, dass es abschließend festhielt: „die Entlohnung erfolgte durch ein monatliches Fixum sowie Provisionszahlungen“.
Man sieht an dieser Stelle besonders gut, dass die „wahren wirtschaftlichen Verhältnisse“ im Sozialversicherungsrecht eben durch die Sozialversicherungsbehörden festgestellt werden.
Zum Vertretungsrecht folgte das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. Ein generelles Vertretungsrecht liegt nur dann vor, wenn es tatsächlich gelebt wurde oder wenn die Parteien ernsthaft damit rechnen konnten, dass dieses auch gelebt werden würde. Das war im vorliegenden Fall unstrittig nicht der Fall.
Die Räumlichkeiten zu benützen sowie der völlig freie Zugang zur Betriebsstätte würden „massiv“ für die Eingliederung in den Betrieb des Unternehmens und damit gegen eine selbständige Tätigkeit sprechen.
Auch die Zurverfügungstellung des firmeneigenen Kfz stellt ein gewichtiges Indiz für diese Integration dar. Dass der Agent Reparaturkosten und Schäden selbst tragen musste, konnte daran nichts ändern. Das zur Verfügung gestellte Computerprogramm wurde als wesentliches Betriebsmittel angesehen, das wie gesagt auch eine wirksame Kontrollmöglichkeit eröffnete.
Dass der Handelsagent zu Hause ein Büro hatte und über einen Laptop verfügte, vermochte seine wirtschaftliche Abhängigkeit (gemeint ist damit keine Lohnabhängigkeit, sondern die Verfügungsmacht über wesentliche organisatorische Betriebsmittel) nicht zu beseitigen.
Dass der Handelsagent eine entsprechende Gewerbeberechtigung hatte, spielt bekanntlich nur bei der Beurteilung eines freien Dienstvertrages eine Rolle, nicht aber bei einem echten Dienstverhältnis im Sinne des ASVG. Aus diesen Gründen kam es nach der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu Recht zur Vorschreibung von Versicherungsbeiträgen zur Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung.
Dieser Fall steht mit dem Zugang der Sozialversicherungsbehörden grundsätzlich in Einklang, die Kriterien an sich sind nicht neu. Eine gewisse Flexibilität und Dynamik in der Auslegung sind allerdings erkennbar. Dies gilt insbesondere für die Punkte Akonto vs. Fixum bzw. (kein) Konkurrenzverbot. Gerade deshalb hatte sich das beschwerdeführende Unternehmen wohl eine andere Beurteilung erhofft. Das ist einerseits verständlich, andererseits zeigt dieser Fall, dass es zu einer anderslautenden sozialversicherungsrechtlichen Qualifikation des Handelsagenten kommen kann, wenn die Betriebe die selbstständigen Vertriebspartner schlicht und einfach zu eng an sich binden bzw. zu viele Elemente vereinbart oder zumindest gelebt werden, wie wir sie nur aus dem Arbeitsrecht kennen. Zur Vermeidung von Problemen gilt es, diese in der Zusammenarbeit mit einem selbstständigen Vertriebspartner so weit wie möglich, am besten gänzlich zu vermeiden, damit es nicht im Nachhinein zu Auslegungsschwierigkeiten bzw. zu einer unerwünschten Qualifikation der selbstständigen Vertragspartner als Dienstnehmer kommt.
Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter