Entfällt der Ausgleich, wenn Kündigungsgründe erst nachträglich bekannt wurden? (Zum franz. Recht: Cour de Cassation 16. 11. 2022)

· · · · | Vertriebsrecht

Beruft sich der Geschäftsherr auf Kündigungsgründe, die ihm erst nach der Kündigung bekannt wurden, stellt sich – auch nach österreichischem und deutschem Recht – die Frage, ob dies dann noch Auswirkungen auf den Ausgleich haben kann…

 

Zum österreichischen Recht spricht der Oberste Gerichtshof immer wieder davon, dass es ein allgemeiner Rechtssatz ist, dass Kündigungsgründe „nachgeschoben“ werden können. Damit ist aber gemeint, dass sich der Kündigende im Zuge der Kündigung nicht auf alle Gründe berufen muss, solange sie damals vorgelegen sind. Er kann (weitere) Gründe auch erst im Prozess geltend machen. Betreffend das Handelsagentenrecht ist dabei die Ausgleichsregelung des § 24 HVertrG zu beachten: der Ausgleich entfällt demnach (unter anderem) dann, wenn der Geschäftsherr wegen eines wichtigen, vom Handelsagenten verschuldeten Grundes gekündigt hat. Das bedeutet, dass dem Geschäftsherrn dieser wichtige Grund bereits damals bekannt und tatsächlich ein Motiv für die Kündigung gewesen sein muss.

 

Mit dieser Fragestellung hatte sich auch schon der EuGH beschäftigt (Volvo Car Germany/Autohof Weidensdorf, C-203/09 28. 10. 2010). Diese Entscheidung erging zum deutschen § 89b HGB („wenn der Unternehmer „gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund vorlag“). Die Frage war eben, ob der Geschäftsherr auch Gründe einwenden kann, die ihm gar nicht bekannt waren, aber für eine fristlose Beendigung ausgereicht hätten. Der EuGH ist dem Wortlaut der Handelsvertreter-RL gefolgt, wonach der Ausgleich entfällt, „wenn der Unternehmer wegen eines schuldhaften Verhaltens beendet hat, das eine fristlose Beendigung rechtfertigt“. Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang gegeben sein („wegen“).

 

Die französischen Gerichte hatten in der Vergangenheit bisweilen Ansichten vertreten, die dem österreichischen oder auch deutschen Juristen nicht geläufig waren. Der EuGH hat die französische Judikatur in jüngster Zeit mehrfach korrigiert (wir hatten an dieser Stelle berichtet). Mit der oben genannten Entscheidung aus dem Herbst 2022 folgt der Cour de Cassation a priori dem EuGH: der Geschäftsherr kann sich nicht auf einen Grund berufen, der ihm erst nach dem Vertragsende überhaupt bekannt wurde (und daher kein Motiv für die Beendigung gewesen sein konnte).

 

Aber Achtung: im Rahmen der sogenannten Billigkeit (gemeint das „Gerechtigkeitskorrektiv“ des Ausgleichs) kann das betreffende Verhalten gewürdigt werden. Es kann hier also im Rahmen eines – schwer angreifbaren – richterlichen Ermessens zu einer Reduktion oder gar zu einem Entfall des Ausgleichs kommen. Dass dies nicht der Rechtssicherheit dient, ist evident. Auch mutet es erstaunlich an, dass der Ausgleich zwar nicht von vornherein entfällt, im Einzelfall aber dann im Ergebnis vielleicht doch (oder zumindest – in nicht vorhersehbarem Ausmaß – reduziert wird). Ein Vorteil für den Handelsagenten ist aber, dass eine solche Reduktion aus Billigkeitsgründen stets vom Rohausgleich zu erfolgen hat. Liegt dieser, was durchaus vorkommt, bei z.B. 180% vom Jahresdurchschnitt und erfolgt eine Reduktion um 40%, wäre immer noch der volle Ausgleichsanspruch erreicht.

 

 

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html