Wie weit geht die Bucheinsicht des Handelsagenten? (OLG Stuttgart 31. 7. 2019)
Es ist schon nicht ganz alltäglich, dass eine Handelsagentur einen Buchauszug verlangt, um ihre Provisionsansprüche kontrollieren zu können. Folgt dem eine Bucheinsicht zur Überprüfung, stellt sich in der Praxis die Frage, wie weit diese geht und inwiefern der Geschäftsherr daran mitzuwirken hat…
Die Handelsagentur hat in diesem Fall bereits Exekution geführt. Der Geschäftsherr stellte in seinen Räumlichkeiten 1.200 Ordner (!) bereit.
Der Handelsagent hat (dennoch) eine Beugestrafe beantragt, um den Geschäftsherrn im Rahmen der Bucheinsicht zu zwingen,
- sämtliche Verwahrungsorte bestimmter Unterlagen bekannt zu geben (z.B. die Zimmernummer) und
- dem Wirtschaftsprüfer der Handelsagentur uneingeschränkten Zugriff auf die EDV-Systeme des Geschäftsherrn einzuräumen, dabei auch die Passwörter zu nennen und einen Zugang mit Administrationsrechten zur Verfügung zu stellen.
Das Gericht hat einleitend festgehalten, dass die Bucheinsicht der Handelsagentur schnell und unmittelbar Kenntnis von den geschuldeten Tatsachen verschaffen soll. Das Einsichtsrecht erstreckt sich grundsätzlich auf die gesamten Geschäftsunterlagen, auch die elektronischen. Die Einsicht umfasst alle für die Ansprüche des Handelsagenten relevanten Dokumente im Besitz des Unternehmers, soweit diese also für die Überprüfung erforderlich sind.
Zur Struktur der Unterlagen
Zunächst einmal kann die Handelsagentur den Geschäftsherrn auffordern, Inhalt und Struktur der vorgelegten Ordner darzulegen.
Hat der Handelsagent ein umfassendes Such- und Nachforschungsrecht?
Das geht aber nicht so weit, dass der Geschäftsherr – ohne Verdachtsfall (siehe unten) – den konkreten Aufbewahrungsort möglicher Unterlagen bekannt geben müsste. Er darf die Unterlagen an einem Ort innerhalb der Geschäftsräume, also etwa in einem Sitzungszimmer, konzentrieren.
Im vorliegenden Fall wollte die Handelsagentur ja erreichen, dass die Aufbewahrungsorte bekannt gegeben werden, damit ihr Wirtschaftsprüfer dort danach suchen kann. Eine solche Suche geht nach Ansicht des Gerichts über das der Exekution zugrunde liegende Urteil hinaus. Denn dieses bezog sich ja – wie so oft – nur auf Geschäftsfälle in einem bestimmten Zeitraum, in bestimmten Ländern und mit bestimmten Kunden. Unterlagen ohne Bezug dazu muss der Geschäftsherr aber nicht vorlegen. So ist auch eine Durchsuchung aller möglichen Dokumente überschießend, es muss z.B. nicht Einsicht in eine weltweite Kundenliste ermöglicht werden.
Muss der Geschäftsherr Erklärungen liefern?
Der Geschäftsherr kann sich keineswegs „gemütlich zurücklehnen“. So muss er erklären, warum bestimmte, vom Prüfer angeforderte Unterlagen nicht relevant seien. Aussortierungen aus Ordnern oder Schwärzungen muss er offenlegen und auf Nachfrage begründen.
Was gilt in Zweifelsfällen?
Im Zweifel sind die Unterlagen aber vorzulegen! Bei Sammelordnern oder unklaren Ordnerbeschriftungen steht der Agentur das Recht zu, überschlägig zu prüfen, um relevante Unterlagen aussortieren zu können.
Der Wirtschaftsprüfer als Vertreter der Agentur ist auch ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet, sofern er von nicht relevanten Umständen Kenntnis erhält.
Was gilt im Verdachtsfall?
Treten einzelne Ungenauigkeiten auf, ist es der Agentur zumutbar, zunächst um Ergänzung zu ersuchen. Gibt es hingegen konkrete Hinweise auf ein gezieltes Beiseiteschaffen relevanter Unterlagen, besteht sehr wohl ein Recht zur Nachschau. Auch eine punktuelle Nachschau am Arbeitsplatz von Sachbearbeitern kann im Einzelfall zulässig sein.
Hat der Agent auch ein Zugriffsrecht auf die EDV?
Grundsätzlich erfasst die Bucheinsicht auch die Einsichtnahme in EDV-Systeme. Es steht aber kein Zugriff auf das gesamte EDV-System zu, was schon aus datenschutzrechtlichen Aspekten nicht zulässig wäre. Der Geschäftsherr darf also diese Einsicht begleiten und kontrollieren – und die Bereiche, die mit den Ansprüchen der Agentur von vornherein nichts zu tun haben, ausnehmen. Ein uneingeschränkter Zugriff – noch dazu mit Administratorenrechten – steht nicht zu. Damit könnte das System ja aktiv verändert werden.
Der begleitete Lesezugriff wurde im vorliegenden Fall so umgesetzt, dass ein leitender Mitarbeiter die angefragten Daten auf seinem Rechner aufgerufen hatte, die per Beamer gezeigt wurden.
Gilt all dies auch für österreichische Handelsagenten?
Zunächst einmal gilt für österreichische Handelsagenten, die deutsche Geschäftsherren vertreten, dann deutsches Recht, wenn dies vereinbart ist. Dasselbe gilt für einen deutschen Gerichtsstand. Die genannte Entscheidung kann daher für viele Agenten relevant sein.
Fehlt eine solche Vereinbarung, gilt österreichisches Recht und österreichische Gerichte sind zuständig. Nach § 16 Handelsvertretergesetz hat der Geschäftsherr die Bücher aber vor dem Gericht vorzulegen und auch die Einsicht findet vor Gericht statt.
Die Grenzen der Einsicht stellen sich aber auch hier. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich ein österreichisches Gericht an der deutschen Rechtsprechung orientieren wird. Zudem ist es vorstellbar, dass ein Richter die Einsicht vor Ort beim Geschäftsherrn anregt, gestattet oder sogar für den Befund durch einen Sachverständigen anordnet. Aus diesen Gründen kommt der Entscheidung auch nach österreichischem Recht Bedeutung zu.
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Als Fazit bleibt: die beiden Anträge der Agentur wurden zwar abgewiesen; das Gericht hat aber die Grenzen einer Bucheinsicht durchaus pragmatisch und realistisch festgelegt. Damit wurde wieder ein Stück Rechtssicherheit geschaffen und das Instrument der Bucheinsicht geschärft.
Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter
Siehe auch die bisherigen Beiträge unter
https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html