Muss ein Handelsagent auch Konditionen verhandeln? (EuGH C-828/18, 4. 6. 2020)

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Insbesondere nach französischem Recht wurde vertreten, dass ein Vertriebspartner nur dann Handelsagent ist, falls er die Befugnis hat, Konditionen und Preise zu verhandeln. Der EuGH hat endlich Gelegenheit bekommen, dazu Stellung zu nehmen…

 

Nach französischem Recht ist der Handelsagent (agent commercial) damit betraut, Kauf-, Miet- oder Dienstleistungsverträge zu verhandeln/vermitteln („negocier“) oder abzuschließen. Nach der französischen Rechtsprechung soll ein Handelsagentenvertrag (daher) nur dann vorliegen, wenn der Agent berechtigt ist, Konditionen und Preise selbst zu verhandeln. Dies wird aus der französischen Übersetzung der EU-Richtlinie abgeleitet, die von „négociation“ spricht. Fehlt diese Befugnis, soll er kein Handelsagent sein (Cour de Cassation, Handelsabteilung, 3. Oktober 2000, Nr. 97-19999; 6. März 2001; 20. Januar 2000 2015, Nr. 13-24231). Das Pariser Berufungsgericht hatte Anträge auf Vorlage an den EuGH bisher mit der Begründung zurückgewiesen, dass die gegenständliche Auslegung zweifellos der EU-Richtlinie entsprechen würde (cour d`appel, Abschnitt 5, 26. Januar 2017 15/04995).

 

Nun jedoch erfolgte eine solche Vorlage. Im Anlassverfahren hat sich der klagende Vertriebspartner darauf berufen, dass „négocier“ (auch) mit Bearbeitung einer Angelegenheit, um ein Geschäft abzuschließen bzw. Schritte und Gespräche, um eine Einigung zu erzielen, übersetzt werden kann. Inhaltlich entspricht dies dem Verständnis des österreichischen OGH, der unter der Vermittlungstätigkeit eines Agenten das positive Einwirken auf einen Kunden versteht, um einen Abschluss zu erreichen.

 

Wir durften für die WKO eine Stellungnahme zu diesen Punkten erstatten und haben auf Folgendes hingewiesen:

 

Würde ein Vermittler einzig aufgrund der Tatsache, dass er keine Konditionen und Preise verhandelt bzw. verhandeln darf, nicht als Handelsagent angesehen, stellt sich die Frage, welche Regelungen dann für ihn gelten (sollen). Es bliebe nur das Maklerrecht. Damit behilft sich auch die französische Rechtsprechung. Der Schutzstandard der Richtlinie bzw. des innerstaatlichen Rechts ginge damit aber verloren. Ein Geschäftsherr könnte durch entsprechende Vertragsgestaltung die Anwendung des Handelsagentenrechts vermeiden.

 

Der EuGH hat zum Begriff des Handelsagenten in der Entscheidung C-452/17 vom 21. 11. 2018 Zako/Sanidel Stellung genommen. Dabei ging es um die Frage, ob ein Vermittler auch dann unter die Richtlinie fällt, wenn er über die Vermittlung hinaus zusätzliche Tätigkeiten übernimmt, die gleich wichtig wie die Vermittlung sind.

 

Der EuGH hat dazu in erster Linie auf den Text der Handelsagenten-Richtlinie verwiesen. Handelsagent ist, wer als selbstständig tätiger Unternehmer den Verkauf oder den Ankauf von Waren (nach französischer Umsetzung auch von Dienstleistungen) vermittelt. Die Ausnahmen der Richtlinie sind taxativ und wenn keine Ausnahme greift, bleibt es bei der Anwendbarkeit der Richtlinie.

 

Im vorliegenden Fall bleibt jedoch das Übersetzungsproblem. Während die deutsche Fassung von Vermittlung spricht, ist in der französischen Fassung von negocier die Rede. Vor dem Hintergrund der oben genannten Rechtsprechung des EuGH einerseits und der offenbar ohnehin gegebenen Möglichkeit, den Begriff negocier im Sinne eines weiteren Verständnisses zu übersetzen, ist diesem Verständnis eindeutig der Vorzug zu geben.

 

Im Übrigen ist in der englischen Fassung der Richtlinie an dieser Stelle von negotiate die Rede. Die britische Justiz hat in einem Fall klargestellt, dass damit ein weites Verständnis verbunden ist, nämlich das Gewinnen von Geschäften für den Geschäftsherrn.

 

Der EuGH hat sich dem angeschlossen und zweimal die österreichische Position erwähnt:

 

Handelsagent ist ein selbstständig Gewerbetreibender, der vertraglich dauerhaft an den Lieferanten gebunden ist und für diesen Geschäfte vermittelt oder abschließt. Der Gegenstand der Tätigkeit, also auch die Möglichkeit der Preisverhandlung, hängt von der Vereinbarung der Parteien ab. Seinen Hauptaufgaben, nämlich der Zuführung neuer Kunden bzw. der Erweiterung der bestehenden, kann er unabhängig davon nachkommen. Er wirkt auf die Kunden durch Informieren, Beraten und Besprechen ein (der EuGH erwähnt hier explizit die österreichische Position).

 

Zum Zweiten soll der Schutzbereich der Handelsagenten-Richtlinie nicht unterlaufen werden können. Auch hier hat der EuGH die österreichische (und an dieser Stelle auch die deutsche) Position hervorgehoben.

 

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Trotz der Harmonisierung durch eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1986 bestehen also immer noch Auslegungsschwierigkeiten nach der nationalen Rechtslage. Manche Gerichte halten – obgleich fern eines wirtschaftlichen Eigeninteresses – „Nationalismen“ aufrecht. Bisweilen hat man den Eindruck, es ginge ausschließlich darum, einen vermeintlichen Unterschied um des Unterschieds willen zu betonen. Insbesondere die französischen Positionen wurden zuletzt entweder vom EU-Gesetzgeber (wie etwas durch den Gerichtsstand am Sitz des Vertragshändlers wenn nicht anders vereinbart) oder vom EuGH abgelehnt (Handelsagentenvertrag mit Probezeit; nunmehr das Erfordernis der Konditionenverhandlung). Das sollte schon zu denken geben…

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter

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