Sozialversicherung: Ist der Handelsagent ein Handelsagent? (Bundesverwaltungsgericht 16. 12. 2020)

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Immer wieder taucht die Frage auf, ob ein Handelsagent in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ein Handelsagent ist bzw. bleibt. Auch in dieser Entscheidung stellte sich diese Problematik…

 

In der Praxis kann es, eine entsprechende Eingliederung der Handelsagentur in den Betrieb des Geschäftsherrn vorausgesetzt, zu einer Umqualifizierung des Handelsagenten in einen sozialversicherungsrechtlichen Dienstnehmer kommen. Wir hatten an dieser Stelle bereits über entsprechende Entscheidungen berichtet.

 

Auch im konkreten Fall hatte die österreichische Gesundheitskasse mit Bescheid festgestellt, dass ein Handelsagent der Vollversicherung als Dienstnehmer nach ASVG unterliegen würde. Es hätte eine persönliche Arbeitspflicht bestanden, keine generelle Vertretungsbefugnis, er sei in die betriebliche Organisation eingebunden gewesen, hätte kein Unternehmerrisiko getragen und es ein Konkurrenzverbot gegeben gewesen. Wesentliche Betriebsmittel, wie Kundendaten, hätte er vom Geschäftsherrn erhalten.

 

Das dagegen angerufene Bundesverwaltungsgericht hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass zwei Drittel der Kundenkontakte vom Handelsagenten selbst stammten; ein Drittel kam vom Geschäftsherrn. Es wurde nicht kontrolliert, wann welcher Agent auf der Messe anwesend war. Wenn der Agent sich nicht um die Kontakte kümmern würde, müsse er keine Rechenschaft ablegen. Hat er einen Auftrag abgelehnt, würde es keine Konsequenzen oder Provisionskürzungen geben. Es bestand keine Verpflichtung, Urlaub und Krankenstände zu melden. Auf der Homepage wurden die Agenten als Teammitglieder geführt und verwendeten Visitenkarten der GmbH. Sie hatten Firmen-Laptops mit der Navision-Software der GmbH. Das Konkurrenzverbot sei nur auf Schwimmbadanlagen bezogen gewesen. Zu Schulungen wurden die Agenten nur eingeladen.

 

Zur persönlichen Arbeitsverrichtung hat der Handelsagent angegeben, dass er niemanden hätte, der ihn vertreten würde und er sei zu ca. 70 % für die GmbH tätig gewesen, die restliche Zeit für ein Unternehmen, das Photovoltaikanlagen verkauft. Das Bundesverwaltungsgericht hat betont, dass ein anderer Handelsagent eine externe Person als Vertretung z.B. für Besichtigungen herangezogen hatte, ohne dies dem Geschäftsherrn zu melden. Dies sei nach der Aussage des Geschäftsherrn kein Problem. Daraus leitete das Bundesverwaltungsgericht ab, dass auch dem betreffenden Handelsagenten offen gestanden wäre, sich jederzeit nach Gutdünken vertreten zu lassen. Dass er diese Möglichkeit ungenutzt ließ, sei unerheblich.

 

Dass Kundenkontakte in das EDV-System einzupflegen waren, sei nach Ansicht des Gerichts „der Ablaufstruktur zuzuordnen“. Dies sollte eine doppelte Kundenbetreuung verhindern. Das war in erster Linie im Interesse der GmbH, hätte aber auch provisionstechnische Vorteile für die Handelsagenten gehabt. Und bei Nichtbeachtung seien keine Konsequenzen gesetzt worden. Die Bereitstellung eines einheitlichen Systems sei kein Kontroll- oder Steuerungsinstrument, sondern sei in erster Linie eine Arbeitserleichterung für alle Beteiligten.

 

Die Voraussetzung, dass der Messestand immer von den Handelsagenten besetzt sein musste, sei auch im erheblichen Interesse der betreffenden Handelsagenten gewesen. Sonstige arbeitsbezogene Weisungen wurden nicht festgestellt.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Inhalt des Handelsvertretervertrages teilweise wörtlich wiedergegeben, hat aber gleich dazugesagt, dass die darin vereinbarte wöchentliche Anwesenheitspflicht zum EDV-Update in der Realität nicht gelebt wurde.

 

Betont wurde auch, dass der Agent über ein eigenes Fahrzeug, eine eigene EDV, ein eigenes Büro und eigene Geräte verfügte. Die überwiegenden Betriebsmittel wurden also von den betreffenden Handelsagenten selbst angeschafft. Der Eigenanteil der Kunden hat immerhin zwei Drittel betragen. Die Kundendaten seien unter diesem Gesichtspunkt nicht als wesentliche Betriebsmittel anzusehen. Zudem falle dies unter die Unterstützungspflichten des Geschäftsherrn (§ 6 HVertrG) ebenso wie die kostenlosen Schulungen.

 

Das Konkurrenzverbot hätte sich nur auf jene Produktsparten bezogen, die von der GmbH vertrieben wurden.

 

Das unternehmerische Risiko würde darin liegen, dass er kein Fixum erhalten hatte, sondern eine Provision.

 

Insgesamt war nach den Feststellungen eine persönliche Arbeitspflicht zu verneinen, dies durch die jederzeitige Möglichkeit, sich vertreten zu lassen und die Möglichkeit, Aufträge sanktionslos abzulehnen. Er war in den Betrieb nicht eingebunden, es bestanden keine Kontrollbefugnisse und keine Vorgaben und Aufzeichnungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort. Und er hatte überwiegend eigene Betriebsmittel.

 

Die Entscheidung liest sich durchaus „erfrischend“, da man daraus einen realistischeren Zugang der sozialversicherungsrechtlichen Prüfung und einen guten Blick auf die tatsächliche Struktur von Handelsagentenverhältnisseen ableiten könnte. Manche Aussagen erstaunen sogar, wenn z.B. betont wird, dass sich das Konkurrenzverbot „nur“ auf den Geschäftsbereich des Geschäftsherrn bezogen hat (worauf sonst?). Auch dass es auf die tatsächlich gelebte Praxis und nicht auf die vertraglichen Regelungen ankommen soll, ist erfrischend neu; ebenso, dass es nicht darauf ankommt, ob sich der Handelsagent tatsächlich vertreten ließ (solange er nur die Möglichkeit dazu hatte). Das hat man in sozialversicherungsrechtlichen Entscheidungen bislang auch schon anders gelesen, wonach es eben auf die vertragliche Möglichkeit des Geschäftsherrn ankommt, gewisse Dinge anzuweisen oder zu untersagen.

 

Insofern besteht keinerlei Anlass, aus dieser Entscheidung abzuleiten, dass die sozialversicherungsrechtlichen Prüfungen generell „großzügiger“ würden, auch wenn es sich so liest. Letztlich handelt es sich um Einzelfallentscheidungen, sodass die Geschäftsherren stets vor einer zu engen Bindung des Handelsagenten gewarnt werden müssen. Andererseits sollten zu strikte Vorgaben von Geschäftsherrn in Vertragsverhandlungen nach wie vor auch unter Verweis auf sozialversicherungsrechtliche Implikationen abgelehnt bzw. „entschärft“ werden.

 

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html