Provisionsbestimmungen der Handelsvertreter-RL sind dispositives Recht (EuGH C-64/21 13. 10. 2022)

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In einem Anlassfall stellte sich die Frage, ob für Folgegeschäfte zwingend ein Provisionsanspruch zusteht, auch wenn der Handelsagent an diesen nicht unmittelbar mitgewirkt hat. Diesbezüglich hatten wir über die Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH berichtet. Nun liegt die Entscheidung des EuGH vor…

 

Das polnische Höchstgericht hat zur Frage der Auslegung der Handelsvertreterrichtlinie ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt. Im konkreten Fall ging es um Werbetätigkeiten im Zusammenhang mit der Betreuung und Akquisition von Kreditkarten. Im Handelsvertretervertrag war vereinbart, dass ein bestimmter Betrag pro ausgestellte Kreditkarte zu bezahlen war, sofern dies unter unmittelbarer Beteiligung der Handelsagentur zustande kam.

 

Die Generalanwältin hat umfassend begründet, warum die Provisionsregelungen nach der Handelsvertreter-Richtlinie dispositives Recht darstellen (das bedeutet, dass vertraglich wirksam etwas Anderes vereinbart werden kann). Es handelt sich also nicht um zwingendes Recht. Der EuGH hat sich dem angeschlossen. Die oben genannte Vertragsbestimmung widerspricht damit nicht der EU-Richtlinie.

 

Wir haben bereits darauf hingewiesen: vertragliche Provisionsregelungen können dennoch nach dem jeweiligen nationalen Recht unwirksam sein. So wurde etwa der Ausschluss von Folgeprovisionen für Dauerverträge (z.B. Bezugs-, Wartungs-, Miet-, Abo-, Energielieferverträge etc) vom OGH zuletzt als sittenwidrig beurteilt.

 

Zudem ist ein Provisionsabzug auch nach der Richtlinie zwingend unzulässig, wenn vermittelte Verträge aus Gründen nicht erfüllt werden, die der Geschäftsherr zu vertreten hat (oft zu beobachten bei Gutschriften, Retouren, Storni etc).

 

Und zuletzt der Hinweis auf die vertragliche Textierung wie im Anlassfall: der Agent war nur dann zu Provisionen berechtigt, wenn er „unmittelbar beteiligt“ war. Auch der juristische Laie erkennt sofort, dass dadurch Potential für Diskussionen und Streitigkeiten eröffnet wird. Denn wann war der Agent „unmittelbar beteiligt“ und wann nur mittelbar? Besteht nicht von Vornherein ein Widerspruch zwischen einer Beteiligung und einer unmittelbaren Tätigkeit? Solche Formulierungen sind darauf angelegt, im Nachhinein Diskussionen zu eröffnen bzw. eine Art „Verhandlungsmasse“ zu schaffen, um Provisionsansprüche verneinen zu können. Ich hatte den Fall, dass ein Lieferant für Tierfutter die unmittelbare Beteiligung des Handelsagenten für (nachfolgende, weitere) Jahresverträge mit den Kunden bestritten hat, weil diese über den Geschäftsherrn zustande kamen. Man sieht daran die möglichen Folgen solcher Regelungen. Letztlich wurde der Fall zwar verglichen, aber eine umfassende Debatte wäre die Folge einer solchen Textierung gewesen.

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter: https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html