Trotz Verfehlungen war fristlose Kündigung durch den Geschäftsherrn unberechtigt (OLG München 6. 4. 2022)

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Im Vorfeld der sofortigen Beendigung war einiges passiert. Die Klausel über eine Kündigungsmöglichkeit wurde geändert und es kam auch zu Verfehlungen des Handelsagenten. Insgesamt reichte dies dennoch nicht für die fristlose Beendigung…

 

Der Handelsagent war seit rund zehn Jahren für den Geschäftsherrn tätig, der Gebäck an Gastronomiebetriebe vertrieb. Die ursprüngliche Vertragsklausel sah vor, dass der Vertrag unbefristet ist (Punkt 17.1.) und unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten gekündigt werden kann (Punkt 17.2.). Im Jahr 2017 wurde Punkt 17.1. geändert, wonach der Vertrag bis 31. 12. 2020 befristet sei. Alle anderen Bestimmungen sollten unverändert bleiben.

 

Der Geschäftsherr hat den Vertrag zunächst ordentlich am 31. 7. 2019 zum 31. 1. 2020, dann aber am 27. 12. 2019 fristlos beendet. Grund für die fristlose Auflösung sei das Verhalten des Handelsagenten in einem Meeting vom 18. 12. 2019 bei einem Kunden gewesen. Diesen Termin hatte er gemeinsam mit dem Verkaufsleiter des Geschäftsherrn wahrgenommen, der beim Kunden verschiedene neue Geschmacksrichtungen vorgestellt hat. Der Handelsagent hat sich diesbezüglich skeptisch gezeigt und hat gemeint, dies solle man intern erst abstimmen, da auch die früheren Vertriebsleiter eine solche Änderung aufgrund der Mindestproduktionsmengen als problematisch angesehen haben. Der Handelsagent hätte sich während dieser Besprechung noch dadurch unangemessen verhalten, dass er sich die Fingernägel gereinigt hätte, permanent zu Boden geblickt hätte und sogar gerülpst hätte. Zudem hat der Vertriebsleiter gegenüber dem Kunden auf dessen Frage hin zugesagt, Warenmuster direkt von der Beklagten beziehen zu können. Der Handelsagent hat vor dem Kunden widersprochen und gemeint, dies müsse über ihn erfolgen. Zudem hätte der Handelsagent den Vertriebsleiter mit E-Mails überhäuft und dadurch dessen Tätigkeit wesentlich eingeschränkt.

 

Der klagende Handelsagent hat sich auf den geänderten Punkt 17.1. berufen, wonach der Vertrag bis zum 31. 12. 2020 befristet sei. Die Beklagte hingegen hat naheliegenderweise ihre fristlose Beendigung am 27. 12. 2019 verteidigt und hilfsweise auf die Kündigung zum 31. 1. 2020 abgestellt.

 

Das Erstgericht hat dem Handelsagenten Recht gegeben, wonach der Vertrag aufgrund der vereinbarten Befristung bis 31. 12. 2020 aufrecht gewesen wäre.

 

Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung abgeändert: die Befristung sei in Punkt 17.1 geregelt gewesen und nur dieser wurde geändert. Die Kündigungsmöglichkeit als solche sollte unverändert bleiben. Die ordentliche Kündigung, also unter Einhaltung einer Kündigungsfrist, sei also auch während der laufenden Befristung möglich gewesen, da diese Möglichkeit in Punkt 17.2. nach wie vor vorgesehen war.

 

Nun war noch zu klären, ob der Vertrag bis 31. 1. 2020 (also unter Einhaltung der Frist von sechs Monaten) weitergelaufen ist oder ob er wirksam am 27. 12. 2019 fristlos beendet wurde.

 

Diesbezüglich hat das Oberlandesgericht festgehalten, dass der Vorwurf, den Vertriebsleiter mit E-Mails überhäuft zu haben, nicht ausreichend konkret sei. Zudem hätte diesfalls eine Abmahnung erfolgen müssen. Und bei der Aussage des Handelsagenten vor dem Kunden, die Muster sollten über ihn bezogen werden, sei nicht erkennbar, wie dadurch die Geschäftsinteressen des Geschäftsherrn in erheblicher Weise beeinträchtigt worden wären. Es hätte doch eine klärende Äußerung des im Meeting anwesenden Vertriebsleiters genügt.

 

Wenn allerdings der Vertriebsleiter die neuen Produkte vorstellt und der Handelsagent in Anwesenheit des Kunden Zweifel äußert, stellt er damit zumindest implizit die Lieferfähigkeit des Geschäftsherrn infrage. Dies widersprach seiner Bemühens- und Interessenwahrnehmungspflicht und stellt eine schuldhafte Vertragsverletzung dar.

 

Selbst wenn sogar das übrige vorgebrachte Verhalten (ständiges Zu-Boden-Schauen, Reinigung der Fingernägel und Rülpsen) vorgelegen hätte, bedeutet dies nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht, dass die Fortsetzung des Handelsvertretervertrages bis zum 31. 1. 2020 unzumutbar geworden wäre.

 

Denn diesbezüglich ist die kurze Dauer der restlichen Vertragsbindung, nämlich vom 27. 12. 2019 bis 31. 1. 2020 zu berücksichtigen. Da die Restlaufzeit nur noch fünf Wochen betragen hätte, hätten die Pflichtverstöße eine sehr hohe Intensität erreichen müssen. Dies war aber nicht der Fall. Der Pflichtenverstoß wurde ja „nur“ gegenüber einem, wenn auch wichtigen Kunden der Beklagten gesetzt und es sei nicht ersichtlich, dass die Geschäftsbeziehung dadurch einen objektivierbaren Schaden genommen hätte. Der vom Geschäftsherrn befürchtete Autoritätsverlust reicht dafür jedenfalls nicht aus.

 

Der Vertrag wurde also mit 31. 1. 2020 als beendet angesehen. Die fristlose Kündigung war unwirksam.

 

Man sieht anhand dieser Entscheidung, welche Details in welchem rechtlichen Zusammenhang ausgelegt bzw. gewürdigt werden. Insgesamt zeigt die Entscheidung, dass die Hürden an eine fristlose Auflösung von den Gerichten bisweilen durchaus hoch angesetzt werden bzw. im Einzelfall tatsächlich sämtliche Umstände wie eben die bisherige Vertragsdauer aber auch die verbliebene Restlaufzeit (in diesem Fall zugunsten der Handelsagentur) gewürdigt werden (wir hatten auch über andere Entscheidungen berichtet, wo gegenteilig eine Restlaufzeit von nur 4 Tagen bei einem Verstoß gegen das Konkurrenzverbot als hinreichend bezeichnet wurde und die fristlose Beendigung daher als wirksam angesehen wurde).

 

Welche weiteren Ansprüche der Handelsagentur daraus resultieren, insbesondere ein allenfalls zustehender Ausgleichsanspruch, wird aus dieser Entscheidung nicht deutlich und ist offensichtlich einer weiteren Klage vorbehalten.

 

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter: https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html