Höherer Ausgleichsanspruch nach deutschem Recht? (OLG Frankfurt 13. 3. 2019 – 12 U 37/18)
Aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2009 hat sich der Fokus in der deutschen Vertriebsrechtsszene verschoben: weg von den Provisionsverlusten des Agenten und hin zu den weiter wirkenden Vorteilen des Geschäftsherrn. Das kann zu einem höheren Ausgleich führen vor allem wenn man dem Agenten Beweiserleichterungen zugesteht…
Nach der Entscheidung des EuGH vom 26. 3. 2009 – C 348/07 – Turgay Semen vs. Deutsche Tamoil GmbH widersprach die damalige Fassung des deutschen „Ausgleichsparagraphen“ (§ 89b HGB) dem europäischen Recht. Den nach dem Vertragsende eintretenden Provisionsverlusten des Handelsagenten kam eigenständige Bedeutung zu. Ohne Provisionsverluste stand also keinesfalls ein Ausgleich zu. Nach der Handelsvertreter-Richtlinie der EU sind die Provisionsverluste aber „nur“ ein Unterfall der sogenannten Billigkeit (also der Regelung, dass der Ausgleich insgesamt angemessen sein muss).
Dieser Formalunterschied führte zu einer Änderung des deutschen Gesetzes wonach der Gesetzestext nun wie der österreichische § 24 HVertrG gehalten ist. Die Provisionsverluste sind eben im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigen.
Was wie nach einer unscheinbaren Anpassung klingt, hat zu einem regelrechten „Hype“ in Deutschland geführt. Maßgebend seien nunmehr in erster Linie die weiter wirkenden Vorteile des Geschäftsherrn. Ein Ausgleich kann also auch dann zustehen wenn gar keine Provisionsverluste eintreten (wie etwa bei der Vereinbarung von Einmalprovisionen). Und wenn die Provisionsverluste niedriger sind als die weiter wirkenden Vorteile des Geschäftsherrn, stünde ein höherer Ausgleich zu als nach der bisherigen Berechnungsmethode.
Seit 2009 konnte aber kein Agent diese Änderung nutzen. Denn zum einen haben die Gerichte betont, dass die alte Berechnung anhand der Provisionsverluste weiterhin möglich ist. Zum anderen kann ein Agent ja von außen die weiteren Vorteile des Geschäftsherrn mangels Kenntnis der kalkulatorischen Grundlagen bzw. ohne Zahlenwerk nicht beweisen. Einen Anspruch auf Vorlage durch den Geschäftsherrn hatte die bisherige Rechtsprechung abgelehnt (OLG Düsseldorf). Dazu kommt, dass nicht geklärt war, wie denn die Berechnung der weiteren Vorteile im Detail erfolgen solle. Selbst Steuerberater und Wirtschaftsprüfer haben hier angeboten, doch auf eine übliche Provision für den Kundenstock abzustellen – man war wieder bei der Handelsagentenprovision gelandet.
Beides wurde nun vom OLG Frankfurt weiterentwickelt. Der Handelsagent hat sehr wohl einen Anspruch darauf, dass der Geschäftsherr diesbezüglich seine Zahlen offenlegt. Im konkreten Fall handelte es sich zwar um einen Vertragshändler, was aber inhaltlich nichts ändert. Das OLG Frankfurt wörtlich:
„Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, die Auskunft sei ihr unmöglich bzw. unzumutbar. Die Beklagte kann als Importeurin unschwer ihre Unternehmervorteile errechnen, indem sie den Deckungsbeitrag I (Rohertrag) durch Abzug des Einkaufspreises vom Verkaufspreis der benannten Neufahrzeuge errechnet. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, zu berücksichtigen seien auch der Stromverbrauch, Mitarbeiterkosten, Service, IT-Kosten etc., macht dies den Auskunftsanspruch jedenfalls nicht von vornherein unzumutbar. Einen darüber hinausgehenden Anspruch auch auf Vorlage von Belegen hat die Klägerin hingegen nicht“.
Man sieht also: die Details der Berechnung sind noch keineswegs geklärt, zudem muss der Geschäftsherr nicht einzelne Belege herausgeben. Er ist aber nach Ansicht des Gerichts zunächst einmal verpflichtet, den Rohertrag zu nennen. Der Agent hat damit also zumindest einmal eine Ausgangsbasis, seinen höheren Ausgleich zu beziffern.
Was auch nach deutschem Recht unverändert ist, ist die gesetzliche Höchstgrenze einer Jahresdurchschnittsprovision (2. Berechnungsschritt). Dennoch kommt dem Ansatz über die weiter wirkenden Vorteile im ersten Berechnungsschritt Bedeutung zu. Denn dies hilft, wie gesagt, in allen Fällen, in denen eine Berechnung über die zukünftig entgehenden Provisionen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen würde.
Für eine österreichische Handelsagentur, die einen deutschen Geschäftsherrn vertritt (und es ist deutsches Recht anwendbar), können sich daraus durchaus interessante Ansätze ergeben.
Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter
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