EFTA-Gerichtshof (14. 12. 2021): Ist Handelsagent nur, wer die Bestellungen auch selbst übermittelt?
Und wieder war zum Handelsagentenrecht ein Höchstgericht am Wort. Diesmal geht es um den Begriff des Handelsagenten. Ist dieser nicht erfüllt, fällt der Vermittler nicht unter die EU-Richtlinie…
Diesmal „spielt“ unser Fall des Monats in Norwegen. Er könnte sich aber genauso gut nach österreichischem oder deutschem Recht stellen. Worum ging es? Ein norwegisches Unternehmen namens Norep AS war für den Lebensmittellieferanten HaugenGruppen (HG) tätig. Norep hatte die Aufgabe, drei Kunden zu betreuen nämlich Coop, NorgesGruppen und Rema. Die Verkäufe erfolgten über den Großhandel, den offenbar ebenso Norep betreute. Die Zusammenarbeit mit HG dauerte immerhin von 1991 bis 2008. Der Vertrag war betitelt mit „Kooperationsvereinbarung“, in Punkt eins wurde Norep als exklusiver Agent bezeichnet.
Nach der Kündigung durch HG klagte Norep den Ausgleichsanspruch ein. HG bestritt die Anwendbarkeit des Handelsvertreterrechts. HG hätte die Preise, Liefervereinbarungen und Produktbereiche doch mit den jeweiligen Zentralen vereinbart. Alle Produkte müssen zentral gelistet sein. Diese Verhandlungen hat aber HG geführt, nämlich mit den Zentralen bzw. auch dem jeweiligen Großhandel. Norep hätte lediglich die „Promotion“ gegenüber den Retailern und dem Großhandel innegehabt. Die Bestellungen der einzelnen Stores beim Großhandel sind automatisch elektronisch erfolgt, wenn sich der jeweilige Lagerbestand dem Ende zuneigte.
Die norwegischen Gerichte haben den Ausgleichsanspruch abgewiesen. Es liege keine Handelsagententätigkeit vor. Norep hat ja keine Bestellungen der Kunden aufgenommen.
Dass Norep im Vertrag als exklusiver Agent bezeichnet wurde, hat nach den – offenbar auch in Norwegen geltenden – Grundsätzen der Vertragsauslegung nur eine Indizwirkung. Die Bezeichnung durch die Parteien ist jedenfalls nicht ausschlaggebend.
Das norwegische Höchstgericht (Norges Hoyesterett) hat die Frage aufgeworfen, ob es tatsächlich zwingend erforderlich ist, dass ein Vermittler die Bestellungen der Kunden auch selbst übermittelt, um als Handelsagent eingestuft zu werden. Norep hat vor dem Höchstgericht argumentiert, dass es dies nicht sehr viel Sinn machen würde. HG war naturgemäß gegenteiliger Ansicht. Es hat auch auf benachbarte Rechte wie das dänische Recht verwiesen, nach dem es erforderlich sei, dass die Bestellungen durch den Agenten übermittelt werden. Eine generelle Marketingaktivität allein könne einen Vermittler nicht zum Handelsagenten machen.
Das norwegische Höchstgericht hat also (da außerhalb der EU) den EFTA-Gerichtshof angerufen. Dieser hat eingangs seiner Entscheidung auf die jüngst zugunsten der Handelsagenten ergangenen Entscheidungen des EuGH verwiesen. Demnach ist für den Begriff des Handelsagenten nicht erforderlich, dass dieser auch Preise verhandelt (dies wurde früher nach französischem Recht unter Berufung auf das Wort „negocier“ in der französischen Umsetzung der Handelsagenten-Richtlinie behauptet). Weiter wurde auf eine zweite Entscheidung verwiesen, wonach eine Handelsagententätigkeit auch dann vorliegen kann, wenn zusätzliche Tätigkeiten übernommen werden (wie die Erarbeitung von Marketingstrategien, Konzepte, technische Zeichnungen etc.). Über beide Entscheidungen haben wir an dieser Stelle berichtet.
Der EFTA-Gerichtshof ist dieser Linie gefolgt und hat zunächst festgehalten: die EU-Richtlinie enthält keine explizite Voraussetzung, dass der Handelsagent nur dann einer ist, wenn er die Bestellungen an den Geschäftsherrn weiterleitet.
Auch die generelle Zielrichtung der Richtlinie, nämlich Handelsagenten zu schützen, wurde vorweg betont. Dieser Schutzzweck verhindere es, den Begriff einschränkend auszulegen. Der Gerichtshof hat ausgesprochen, dass es zwar durchaus üblich, aber eben nicht notwendig ist, dass der Agent (auch) bei der Finalisierung der Geschäfte involviert ist. Es gehört nicht zur maßgebenden Tätigkeit der Handelsagentur, dass auch die Bestellungen – sozusagen im operativen Ablauf – über ihn laufen. Würde man dies anders sehen, wäre es zudem ein Leichtes, die zwingenden Bestimmungen der Richtlinie zu umgehen (indem eben schlicht und einfach die Bestellungen direkt erfolgen).
In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass die Kontrolle durch den Handelsagenten eingeschränkt ist, wenn die Bestellungen ausschließlich direkt laufen. Er kann die Kunden und Umsätze dann oftmals gar nicht im Detail nennen. Dies macht die Kontrolle der Provisionsabrechnungen (und auch ein Buchauszug will kontrolliert sein) und auch die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs für den aufgebauten Kundenstamm schwierig.
Der Gerichtshof hat im Weiteren – und dies ist bemerkenswert, da es hier um die Voraussetzungen für den Ausgleichsanspruch geht und nicht um den Begriff des Handelsagenten – darauf abgestellt, dass die hauptsächliche Aufgabe der Handelsagentur darin liegt, neue Kunden zu akquirieren und das bestehende Geschäftsvolumen mit bestehenden Kunden zu erweitern. Dies geschieht dadurch, den Kunden zu informieren, zu beraten und Gespräche zu führen, all dies mit dem Zweck neuer Geschäftsabschlüsse. Dass der Handelsagent dabei die Bestellung entgegenzunehmen hat, ist nicht vorgesehen. Der Vermittler fungiert vielmehr als „Link“ zwischen Kunde und Prinzipal, wobei er auch als dessen Repräsentant auftritt. „Promotion“ alleine würde hingegen tatsächlich noch keinen Status als Handelsagentur begründen (ansonsten jede Werbe- oder PR-Agentur eine Handelsagentur wäre).
Ob im Einzelfall eine Handelsagententätigkeit vorliegt oder nicht, hat das nationale Gericht anhand der jeweiligen Fakten im jeweiligen Fall zu entscheiden. Der EFTA-Gerichtshof nennt einige Kriterien, wie etwa dass einem Handelsagenten Exklusivrechte gewährt werden (offenbar mit Blick auf den Norep-Sachverhalt), ob der Vermittler den Geschäftsherrn auch repräsentiert hat, er an Verkaufsmeetings teilgenommen, neue Klienten gesucht bzw. Verkaufsvolumina gesteigert hat. In jedem Einzelfall sind das jeweilige Agreement und die betreffenden Aktivitäten entscheidend.
Wie der konkrete Rechtstreit Norep vs. HG nach nationalem also norwegischem Recht entschieden werden wird, steht freilich noch in den Sternen. Das Verfahren kann aber nun fortgesetzt werden nachdem geklärt ist, dass Norep als Handelsagent tätig war. Man kann wohl zuversichtlich sein, da Norep sowohl die Stores als auch den Großhandel regelmäßig besucht hat. Die Listung allein bewirkt nämlich noch keine Verkäufe. Maßgebend wird wohl sein, wo die Kaufentscheidung fällt, ob also in den entsprechenden Head Offices oder in den betreuten Unternehmen bzw. Stores. Denkbar wäre zwar schon, dass die Tätigkeit einer Art Regalbetreuung gleichkam. Dagegen spricht aber die Tätigkeit von Norep (auch) gegenüber dem Großhandel. Die Grenzen sind hier durchaus schwierig und die Situation erinnert an so manchen, in unserer Kanzlei betreuten Fall, in dem die Vertreter Baumärkte betreut hatten.
Die Entscheidung ist jedenfalls zu begrüßen, da sie den Berufsstand der Handelsagenten stärkt und sich dabei auf konsistenter Linie mit den berichteten Entscheidungen des EuGH befindet.
Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter
Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:
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