Ausgleichsanspruch bei Mobilfunkverträgen (Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH 24. 11. 2022 C-574/21)
Der EuGH ist zum Handelsagentenrecht wieder am Wort. Es geht wie berichtet um die zentrale Norm zum Schutz der Handelsagenturen, nämlich den Ausgleichsanspruch für den aufgebauten Kundenstock…
Wir hatten über das Vorabentscheidungsersuchen des tschechischen Höchstgerichts berichtet. Vor den Gerichten in Tschechien ist ein Fall anhängig, in dem die Handelsagentur einen Ausgleichsanspruch für den Bestand an vermittelten Mobilfunkverträgen geltend macht. Dem obersten Gerichtshof sind Zweifel an der eigenen Judikaturlinie entstanden. Denn es war bisher der Ansicht, dass es nur auf diejenigen Provisionen ankomme, die der Handelsagent bei der Fortsetzung des Agenturvertrags aus bestehenden Verträgen erhalten hätte. Angesichts der deutschen (und österreichischen), entgegengesetzten Rechtsprechung ergeben sich Zweifel, die zur Vorlage führten.
Worum geht es dabei? Der Ausgleichsanspruch soll „die dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen“ ersetzen. Nun macht es einen deutlichen Unterschied, ob dies nur die bestehenden Verträge umfasst oder auch die diejenigen, die der Handelsagent mit den neu geworbenen oder wesentlich erweiterten Kunden zukünftig vermittelt hätte, wenn die Handelsvertretung fortbestanden hätte.
Die Generalanwältin hat nun klare Wort gefunden; in aller Regel folgt der EuGH der Ansicht der Generalanwaltschaft. Diese hat betont, dass die EU-Richtlinie dort, wo es auf die bereits zustande gekommenen Geschäfte ankommt, also bei der Provision, vom „abgeschlossenen“ Geschäft spricht (Art 7 und 8).
Die Ausgleichsregelung in Art 17 stellt aber darauf ab, ob der Unternehmer aus den Geschäften mit den betreffenden Kunden „noch erhebliche Vorteile“ zieht. Diese Voraussetzung würde inhaltsleer, würde man nur auf die aktuellen Geschäfte abstellen. Die Interpretation nach dem Wortlaut ist also eindeutig.
Eine dennoch angenommene Unklarheit wäre nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH aber ohnehin im Sinne der Handelsagenten aufzulösen. Die Handelsvertreter-Richtlinie dient, neben der Harmonisierung des Binnenmarkts, dem Schutz der Handelsagenten. Der EuGH hat bereits entschieden, dass eine Auslegung im zwingenden Anwendungsbereich der Richtlinie – wie eben dem Ausgleichsanspruch – nicht zum Nachteil der Handelsagenten erfolgen darf.
Das ebenso aufgeworfene Thema „Einmalprovision“ (wir hatten berichtet) hat sich hingegen relativiert. Denn im Verfahren ist herausgekommen, dass zwar pro Vertrag einmalige Vergütungen bezahlt wurden – falls aber der Handelsagent einen neuen Vertrag mit demselben Kunden vermittelt hat oder auch eine Aboverlängerung, hat er sehr wohl eine (weitere) Provision erhalten. Es handelte sich also gerade nicht um „echte“ Einmalprovisionen.
Dennoch hat die Generalanwältin den überwiegenden Meinungsstand zum deutschen Recht bestätigt. Dort sind ja durch die Novelle des § 89b HGB die Unternehmervorteile in den Vordergrund gerückt. Dem entsprechend könne ein Ausgleich auch bei Einmalprovisionen zustehen. Konkretes dazu enthalten die Schlussanträge aber nicht, da im vorliegenden Fall eben keine Einmalprovisionen vereinbart waren.
Die Generalanwältin hat auch darlegt, wie der Ausgleichsanspruch zu berechnen ist. Dabei wird der (österreichischen und deutschen) Methode der Ermittlung des Rohausgleichs gefolgt. Die zukünftigen Provisionsverluste des Agenten werden also für einen geschätzten Zeitraum hochgerechnet, aber eine gewisse Kundenabwanderung angenommen. Interessant ist hier nicht die Methode der Berechnung als solche (diese ist ja seit Jahrzehnten Bestandteil der deutschen und österreichischen Rechtsprechung). Vielmehr hat die Generalanwältin diese Methode nun sozusagen auf europäische Ebene gehoben. Die Gerichte mancher Länder hatten bisher ja eher nebulose, d.h. nicht wirklich definierte Berechnungen angewendet (wie z.B. in Italien). Sie müssen nun, sofern der EuGH den Schlussanträgen folgt, der dargelegten Methodik folgen, auch wenn z.B. italienisches Recht vereinbart ist. Dies sollte auch außergerichtliche Diskussionen vereinfachen bzw. Vergleiche fördern.
Der Entscheidung des EuGH kommt also auch in diesem Punkt besondere Bedeutung zu; sobald sie vorliegt, werden wir wieder berichten.
Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter
Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:
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