Überhangprovision ist nicht gleich Ausgleichsanspruch (OGH 27. 11. 2020)

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Immer wieder herrscht Verwirrung über das Verhältnis zwischen „Folgeprovisionen“ und dem Ausgleichsanspruch. Bisweilen ist eine Klarstellung durch die Gerichte erforderlich. Über einen solchen Fall hatte der OGH zu entscheiden…

 

Im konkreten Fall war ein Handelsagent für einen Arbeitskräftevermittler tätig. Seine Aufgabe bestand darin, Kunden zu finden, an die der Geschäftsherr Personal vermitteln konnte (Personalleasing). Die Zusammenarbeit dauerte von Juli 2015 bis Juli 2016.

 

Das Vertragsverhältnis endete durch fristlose Kündigung durch den Geschäftsherrn, weil der Handelsagent seine eigene Tätigkeit in diesem Bereich vorbereitet hatte und dazu eine Mitarbeiterin des Geschäftsherrn angesprochen hatte.

 

Der Handelsagent machte (weiter) laufende Provisionsansprüche geltend. Das von ihm vermittelte Personal hat auch nach der Beendigung des Agenturvertrags für weitere Umsätze beim Geschäftsherrn gesorgt. Aus diesem Grund hat er Provisionsansprüche bis Mai 2018 geltend gemacht (warum gerade bis zu diesem Datum, ist aus der Entscheidung nicht ersichtlich; immerhin ging es damit um einen Zeitraum von knapp zwei Jahren nach der Beendigung des Agenturvertrags).

 

Der Geschäftsherr hat diverse Gegenforderungen eingewendet, die in erster Instanz abgewiesen wurden. Die begehrte Provision hingegen wurde zugesprochen.

 

Dagegen hat der Geschäftsherr berufen. Tragende Begründung war, dass nicht vereinbart gewesen sei, dass auch über das Ende der Zusammenarbeit hinaus Provisionen zu zahlen wären. Dies stünde auch nach dem Gesetz nicht zu.

 

Das OLG Linz als Berufungsgericht hat dies klar beantwortet. Es hat darauf hingewiesen, dass es sich um eine Handelsagententätigkeit handelt und dass demnach dem Handelsagenten für jedes von ihm vermittelte Geschäft eine Provision zusteht, soweit nichts anderes vereinbart ist. Der Zeitpunkt der Ausführung dieses Geschäftes ist für den Anspruch auf Provision grundsätzlich unerheblich. Gerade auch für Dauerschuldverhältnisse steht die Provision weiter zu („Überhangprovisionen“). Der Provisionsanspruch besteht, solange die von ihm vermittelten Verträge aufrecht sind.

 

Das OLG hat dem beklagten Geschäftsherrn aber noch eine letzte Hoffnung eröffnet. Es hat nämlich den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich zugelassen, weil keine Rechtsprechung des OGH zu der Frage vorliegen würde, ob eine solche Überhangprovision einen Provisionsanspruch darstellt oder als Ausgleichsanspruch zu werten sei (!?).

 

Der Oberste Gerichtshof, wohl etwas überrascht, musste dem OLG sagen, dass es doch selbst ausgesprochen hat, dass eine solche Überhangprovision zusteht. Weder hat der Kläger einen Ausgleichsanspruch eingeklagt noch ist die Beklagte davon ausgegangen, dass statt den Provisionen ein Ausgleichsanspruch zustehen würde. Auch das Berufungsgericht hatte die Rechtsansicht geäußert, dass hier gerade kein Ausgleichsanspruch zusteht. Der Oberste Gerichtshof hat dies zwar im Juristendeutsch und damit für den nicht geschulten Leser sperrig anmutend, aber in der Sache völlig richtig zusammengefasst: „auf die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage muss nicht eingegangen werden, weil sie im vorliegenden Fall bloß theoretisch ist“. Mit anderen Worten: das OLG hat die ordentliche Revision entgegen seiner eigenen Rechtsansicht zugelassen und sich hier in gewisser Weise selbst widersprochen.

 

Kurz zusammengefasst zum Verhältnis zwischen Überhangprovision und Ausgleichsanspruch: die Überhangprovision ist ein Provisionsanspruch für die Geschäfte, die während der aufrechten Dauer des Agenturvertrags vermittelt aber erst danach ausgeführt werden. Der Ausgleichsanspruch hingegen ist die Abgeltung der für den Agenten verlorenen Möglichkeit, an die aufgebauten (Stamm)Kunden weitere Geschäfte zu vermitteln. Die Provision ist also das Vermittlungsentgelt für das bereits vorhandene Geschäft (Vertragsbestand); der Ausgleichsanspruch dient der Abgeltung der Erwerbschance aus den verlorenen, zukünftigen (Folge)Geschäften.

 

Die Entscheidung kann also herangezogen werden, wenn Geschäftsherren, wie in diesem Fall, davon ausgehen, dass Überhangprovisionen nur bei ausdrücklicher Vereinbarung zu zahlen seien. Dies ist mitnichten richtig: es handelt sich um einen gesetzlichen Anspruch.

 

P.S.: Falls dieser im Vertrag ausgeschlossen sein sollte (was ein Handelsagent hoffentlich nicht unterschreiben wird), so könnte man die Wirksamkeit eines solchen Provisionsausschlusses mit durchaus erheblichen Argumenten bekämpfen. Dazu muss man die konkrete Formulierung und die Begleitumstände ansehen; in aller Regel hat man hier hinreichende Ansatzpunkte…

 

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter 

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter: https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html