Steht für Folgegeschäfte zwingend ein Provisionsanspruch zu, auch wenn der Handelsagent an diesen nicht unmittelbar mitgewirkt hat? (Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH 9. 6. 2022)

· | Vertriebsrecht

 

Im Zusammenhang mit Provisionsregelungen wird immer wieder diskutiert, ob diese überhaupt wirksam vereinbart werden können. Vor dem EuGH ist dazu ein Verfahren anhängig und die Generalanwältin hat ihre Stellungnahme übermittelt…

 

Das polnische Höchstgericht hat zur Frage der Auslegung der Handelsvertreterrichtlinie ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt. Im konkreten Fall ging es um Finanzdienstleistungen, genauer gesagt um Werbetätigkeiten im Zusammenhang mit der Betreuung und Akquisition von Kreditkarten. Im Handelsvertretervertrag war vereinbart, dass ein bestimmter Betrag pro ausgestellte Kreditkarte zu bezahlen war, sofern dies unter unmittelbarer Beteiligung der Handelsagentur zustande kam.

 

Die Handelsagentur begehrte aber Auskunft auch über die Folgeverträge mit Kunden, die sie geworben hatte, auch wenn sie an diesen Verträgen nicht mehr unmittelbar beteiligt war.

 

Es stellte sich also die Frage, ob die Regelung in der Handelsvertreterrichtlinie, wonach der Handelsagent einen Provisionsanspruch auch für Folgeaufträge hat, zwingendes Recht darstellt oder nicht. Im ersten Fall würde das Auskunftsbegehren zu Recht bestehen; handelt es sich jedoch nicht um zwingendes Recht, würde die vertragliche Regelung greifen, wonach nur diejenigen Geschäfte provisionspflichtig sind, die unmittelbar über die Handelsagentur zustande gekommen sind.

 

Das Verfahren vor dem EuGH läuft noch. Die sogenannten Schlussanträge der Generalanwaltschaft liegen jedoch bereits vor. In den meisten Fällen folgt der EuGH diesen Schlussanträgen.

 

Die Generalanwältin hat zunächst auf den Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie hingewiesen, wonach ein Provisionsanspruch dann besteht, wenn der Geschäftsabschluss auf die Tätigkeit der Agentur zurückzuführen ist oder wenn das Geschäft mit einem Kunden abgeschlossen wurde, den der Agent bereits vorher für gleichartige Geschäfte geworben hatte. Schon daraus leitet sie ab, dass die zweite Alternative nicht zwingend sein könne, da ja das Wort „oder“ verwendet wurde. Den Vertragsparteien solle also eine Auswahl ermöglicht werden.

 

Im Weiteren betonte sie die Vertragsfreiheit; Handelsvertreterverträge werden b2b abgeschlossen. Sowohl der Lieferant als auch der Handelsagent sind Unternehmer. Der Schutz der Handelsagenturen würde darunter nicht leiden, wenn sie diesbezüglich frei Provisionsvereinbarungen treffen dürfen. Es klingt sogar durch, dass das Gegenteil der Fall ist, da dadurch eine entsprechende Flexibilität gewahrt wird und Lieferanten nicht durch zwingende Provisionsregelungen abgeschreckt werden.

 

Ein weiteres Argument war, dass der Ausgleichsanspruch (der zwingendes Recht darstellt) keinen Anspruch auf Provision für Folgegeschäfte nach sich zieht, sondern umgekehrt voraussetzt. Nur wenn der Handelsagent Provisionsverluste zu erleiden vermag (Tatbestand) kann ein Ausgleichsanspruch unter den gesetzlichen Voraussetzungen zustehen (Rechtsfolge).

 

Letztlich führt die Generalanwältin ein Argument an, das man eigentlich zu Beginn erwartet hätte: die Richtlinie sagt an diversen Stellen sehr wohl, wenn es sich um zwingendes Recht handelt (wie etwa bei Mindestkündigungsfristen, Buchauszug, Ausgleichsanspruch etc.). Bei den Provisionsregelungen hingegen fehlt, zumindest was die hier gegenständliche Frage anlangt, die Anordnung, dass es sich um zwingendes Recht handeln würde. Daraus kann geschlossen werden, dass es sich eben um nicht zwingendes Recht handelt. Insofern ist die vertragliche Regelung zulässig, wonach nur für diejenigen Geschäfte eine Provision zustehen soll, an denen der Handelsagent unmittelbar beteiligt war.

 

Die Generalanwältin hat diesbezüglich auch auf die Entstehungsgeschichte hingewiesen. In einem Vorentwurf zur Richtlinie war die Provision für Folgeaufträge in der Liste der zwingenden Regelungen enthalten, wurde dann aber gestrichen. Damit kann nur davon ausgegangen werden, dass dies eben kein zwingendes Recht darstellen soll.

 

Die vertragliche Regelung wäre also zulässig und das Auskunftsbegehren daher, was Folgeaufträge anlangt, abzuweisen.

 

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei aber auf Folgendes hingewiesen: nicht alle Provisionsregelungen, die in den Verträgen der Geschäftsherren enthalten sind, sind auch tatsächlich wirksam. Wir haben darüber zuletzt berichtet. Dies gilt auch etwa für den Ausschluss von Folgeprovisionen für Dauerverträge (dies wurde vom OGH zuletzt als sittenwidrig angesehen). Und letztlich enthält auch die Richtlinie zwingende Regelungen zu Provisionen. So ist bekanntlich ein Provisionsabzug unzulässig, wenn vermittelte Verträge aus Gründen nicht erfüllt werden, die der Geschäftsherr zu vertreten hat. Zahlt der Kunde nicht, muss der Geschäftsherr (außer bei offenkundiger Insolvenz) den offenen Betrag einklagen und ein Exekutionsverfahren einleiten (ansonsten kein Provisionsabzug erfolgen darf).

 

Die hier gegenständliche Frage war hingegen, ob Folgegeschäfte, an denen der Handelsagent nicht (mehr) beteiligt ist, zwingend provisionspflichtig sind oder ob dies, wie die Generalanwältin vertritt, vertraglich ausgeschlossen werden darf. Die Entscheidung des EuGH ist freilich abzuwarten, wir werden weiter berichten.

 

Ihr Ansprechpartner: Dr. Gustav Breiter

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

https://www.wko.at/branchen/handel/handelsagenten/newsletter-contact-plus.html