In den Verträgen finden sich mehrere Gerichtsorte, wo müsste geklagt werden? (OGH 23. 9. 2024)
Bisweilen werden mit einem Geschäftsherrn nicht nur ein (schriftlicher) Handelsvertretervertrag abgeschlossen, sondern mehrere hinter- oder nebeneinander. Wenn dort unterschiedliche Gerichtsorte genannt werden, stellt sich die Frage, was denn nun gilt.
Zur Vorgeschichte
Der Fall betraf zwar eine andere Branche, kann aber auf die „Handelsagentenlandschaft“ umgelegt werden. Eine österreichische Gesellschaft hatte beim beklagten Unternehmen in Deutschland Werkleistungen im Baugewerbe beauftragt. Im Werkvertrag/Hauptauftrag aus 2022 war ein Gerichtsstand in Deutschland vorgesehen, ebenso in einem „Verhandlungsprotokoll“ und in den „Zusätzlichen Vereinbarungen“. Das Auftragsvolumen betrug rund € 733.000.
Im Jahr 2023 erteilte der Auftraggeber diverse „Zusatzaufträge“. Auf den Deckblättern des Zusatzauftrags Nr. 1 über rund € 12.600 und des Zusatzauftrags Nr. 6 über rund € 4.400 stand jeweils unter Punkt H. „Gerichtsstand: Linz“.
Die österreichische Gesellschaft hat vor dem Landesgericht Linz geklagt. Das deutsche Unternehmen hat eingewandt, dass keine Zuständigkeit gegeben sei, da doch der deutsche Gerichtsstand vereinbart worden sei.
Die Entscheidung der Gerichte
Das Erstgericht hat seine Unzuständigkeit ausgesprochen. Es sei nicht anzunehmen, dass die Parteien durch die Anmerkung „Gerichtsstand: Linz“ in zwei Zusatzaufträgen vom Gerichtsstand im Hauptauftrag gänzlich abgehen wollten.
Das Oberlandesgericht Linz war ebenso dieser Ansicht: es sei nicht anzunehmen, dass das deutsche Unternehmen diese Anmerkungen überhaupt bewusst zur Kenntnis genommen habe, geschweige denn einer nachträglichen Änderung zugestimmt hätte. Es bleibe daher bei der Gerichtsstandsvereinbarung wonach deutsche Gerichte zuständig sind.
Der OGH hat dem widersprochen: Zunächst ist nicht anzunehmen, dass das deutsche Unternehmen nicht wisse, was es unterschreibe. Es werde in den Zusatzaufträgen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass für Streitigkeiten aus diesen Zusatzaufträgen der Gerichtsort Linz ist.
Jetzt wären verschiedene Ansätze möglich gewesen. Man hätte zeitlich differenzieren können. Dann würden die jüngeren Vereinbarungen aus den beiden Zusatzaufträgen vorgehen und die alte Vereinbarung gleichsam verdrängen. Man hätte auch inhaltlich differenzieren können. Für Streitigkeiten aus dem Hauptauftrag wäre Deutschland und für jene aus den Zusatzaufträgen Linz zuständig gewesen (die Leistungen wären ja wohl abgrenzbar gewesen, was aber aus der Entscheidung nicht hervorgeht). Das hätte umso mehr gegolten, wenn man wertmäßig differenzieren hätte wollen. Die Auftragswerte der Zusatzaufträge blieben ja deutlich hinter dem Hauptauftrag zurück.
Der OGH geht aber einen Schritt weiter: er sah in den Vereinbarungen einander widersprechende Gerichtsstandsklauseln. Diese würden sich gleichsam aufheben. Im Ergebnis wurde also gar kein Gerichtsstand vereinbart.
In konkreten Fall waren der Erfüllungsort und Sitz der Beklagten ja in Deutschland. Somit sind deutsche Gerichte zuständig und bleiben es, wenn kein Gerichtsstand zugunsten Österreichs vereinbart wurde. Die Begründung der Unterinstanzen war allerdings falsch und kann im umgekehrten Sinn für österreichische sales agents interessant sein.
Folgen für die Praxis
Die Entscheidung kann, je nach der Ausfertigung bzw. Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, hilfreich sein. Sind in verschiedenen Vertragsausfertigungen, aneinander gereihten Verträgen (die man stets vermeiden sollte!) oder in Zusatzverträgen (z.B. über eine weitere Marke/Kollektion, ein zusätzliches Gebiet etc.) unterschiedliche Gerichtsstände genannt, liegt im Ergebnis keine Gerichtsstandsvereinbarung vor. Im Verhältnis zum EU-Ausland sowie Norwegen, Schweiz und Island wäre dann der Gerichtsstand zugunsten des österreichischen sales agents in Österreich gegeben.
Ihr Ansprechpartner: RA Dr. Gustav Breiter
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